Nach „Hau weg den Scheiß“ nun „Behalt den Scheiß“

Neue Töne auf dem grünen Technik-Kongreß / Sanfte Technik im industriellen „Irrenhaus“? / Streit zwischen Predigern und Praktikern / Grüne Linke bleibt im Glauben fest: Trotz DDR und alledem - das Profitsystem ist schuld!  ■  Aus Duisburg Walter Jakobs

„Wir leben ganz bestimmt in einem Irrenhaus und ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß eine Gesellschaft, die mit Menschen so umgeht wie die unsrige, durch sanfte Technik geheilt werden kann.“ Dennoch, so fährt der amerikanische Technikkritiker Prof. Joseph Weizenbaum fort, könne jeder etwas tun: „Kaufen Sie doch einfach mal die nächste technische Neuerung nicht!“ Ein Appell, der während der Abschlußdiskussion des grünen Kongresses über „Wege zu einer sanften Technik“ scharfen, grundsätzlichen Widerspruch hervorruft. Dr. Braungart vom Hamburger Umweltinstitut hält „diesen Ansatz für längst gescheitert“. Er charakterisiert den Weizenbaum-Vorschlag als „protestantischen Verzichtsappell“, der für die Gesellschaft insgesamt „nicht funktioniert“ und verficht einen fundamental anderen Ansatz. Braungart will nicht die Produktion im Kapitalismus vergesellschaften, sondern die „Vergesellschaftung des Drecks“ rückgängig machen. Dabei denkt der Hamburger Rebell an eine „globale Leasing-Gesellschaft“. Man kauft die Produkte nicht mehr, sondern man mietet sie, und der Hersteller wird zur Rücknahme verpflichtet. Der Fernsehproduzent bekommt den Fernseher, der einen Haufen Giftmüll darstellt, nach Ablauf der Lebensdauer ebenso zürück wie die Autobauer ihre Stahl- und Plastikkarossen. Zu den Montagehallen gesellen sich die Demontagehallen, die eine optimale Rohstofftrennung und -wiederverwendung sichern sollen. Nachdem die Parole der 80er Jahre „Hau weg den Scheiß“ gelautet habe, müsse nun der Ruf „Behalt den Scheiß“ durchs Land hallen, meint Braungart. Der Dreck müsse bei denen bleiben, „die die Schädlichkeit verursacht haben“. Während Braungart - sich der Dynamik der Marktwirtschaft bedienend - die Einzelunternehmen durch radikale Auflagenpolitik zur ökologischen Vernunft zwingen will, plädierte Prof. Claus Eurich - scharfer Kritiker der neuen Informationstechniken - dafür, „diesem System seine gesamte Kraft zu entziehen“, um außerhalb der Institutionen etwas die Menschen „Ansteckendes“ zu schaffen. Eurich hofft auf die Kraft des leuchtenden Beispiels.

Zwischen diesen beiden Polen operiert Uwe Lahl, seit vier Jahren Umweltdezernent in Bielefeld. Lahl setzt auf die „vorhandenen Gestaltungsspielräume“, die es gerade auch in den Kommunen zu nutzen gelte. Schon bei den derzeit „schlaffen Umweltgesetzen“ gebe es ein riesiges „organisatorisches Vollzugsdefizit“. Wer sich dem stelle und in den Kommunen etwa die Vorschriften zum Wasserrecht „einigermaßen entschlossen“ durchzusetzen versuche, der werde auf „erheblichen Widerstand, vor allem der Industrie stoßen“. Wenn „Sie dann noch versuchen, konsequente Verkehrsberuhigungspolitik zu machen, dann verlieren Sie die nächste Wahl“. So geschehen im vergangenen Jahr in Bielefeld und all jenen nordrhein-westfälischen Kommunen, in denen rot -grüne Stadtregierungen - wie etwa in Leverkusen - zarte neue Ansätze versucht haben. Dennoch findet Lahl, den die neue bürgerliche Mehrheit lieber heute als morgen aus dem Amt jagen würde, daß „es sich gelohnt hat und weiterhin lohnt“.

Der zweitägige Kongreß der NRW-Grünen in Duisburg -Rheinhausen bot eine Fülle von Ansatzpunkten und Anregungen dafür, das Naheliegende zu tun, ohne die Utopien aus dem Auge zu verlieren. Wenn die Zeichen vom Wochenende nicht trügen, dann verlieren auch innerhalb der Grünen langsam jene an Einfluß, die immer noch festen Glaubens sind, daß die ökologischen und technologischen Probleme im wesentlichen aus den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen resultieren. Die Ursache für den schwindenden Einfluß sieht der grüne Bundestagsabgeordnete Ulrich Briefs, der dieser linken Glaubensrichtung weiter anhängt, nicht in der Argumentationsschwäche seiner Kirche, sondern in administrativer Ausgrenzungspolitik. Briefs beklagte sich, von den Veranstaltern des Kongresses ausgegrenzt worden zu sein. Man wolle die Kritik der „radikalen NRW-Linken“ nicht hören, weil man sich für eine Koalition mit der „bedingungslos auf Modernisierung und Wachstum setzenden SPD“ bereithalte. In der ihm angetragenen Leitung eines Forums sah Briefs, der im Plenum am Podiumstisch sitzen wollte, seine Position nicht ausreichend gewürdigt.