Im Land der Lungwurst

■ Exilpommern verzeichnen rasanten Mitgliederzuwachs / Revanchismus hinter vorgehaltener Hand

„Übrigens“, der alte Herr hält mich am Ärmel zurück, „alles spricht heute von der polnischen Westgrenze. Was ist eigentlich mit der Ostgrenze?“ Der erste Weltkrieg war nämlich „ein Krieg gegen die Deutschen“, „um uns klein zu halten“, wie er mir

versichert. „Und jetzt, wo Großd... wo Deutschland wieder vereinigt wird, da ist der Engländer und der Franzose mal wieder dagegen.“

Mein Gesprächspartner ist Mitglied der Pommerschen Landsmannschaft Ortsgruppe Bremen. Er ist 77 Jahre alt und gebürtiger - Bremer, einer von 140 Mitgliedern, die sich monatlich regelmäßig bei Kaffee und Kuchen zum Nostalgie -Nachmittag treffen. „Heimat“ ist das zentrale Thema, unter dem sie sich hier versammelt haben, und Heimat ist dort, wo man geboren ist.

Vereinsvorsitzender Günter Timm erklärt, was Pommern zu Pommern macht. Da ist zunächst die lange Ahnenreihe der Greifen, die Bogislavs I-XIV (der erste 1181, der letzte 1635 , die dem Lehensgrundstück vierzehn Herzöge und den Wappenvogel bescheren. Dönekes aus den Jahrhunderten: Pommern wird im Dreißigjährigen Krieg schwedisch (Pommerland ist abgebrannt), vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. zurückgekauft, 1815 nach den Befreiungskriegen zu der politischen Größe gemacht, an die sich die PommerInnen gestern in der „Glocke“ mit Wehmut erinnerten. Dann kamen zwei Weltkriege, der Pole und der Russe, 1947, Sachen gepackt, Heimat ade.

Ortsgruppenvorsitzender

Timm war im Zivilberuf Lehrer und fragte oft nach „Deutschlands größter Insel“. „Richtige“ Antwort: Rügen. Wenn er sich mit seinen Landsleuten trifft, denkt er an die Pyritzer Weizackertracht, an die Belbucker und an die Jarmunder Tracht (Was, kennen Sie nicht, was haben Sie denn in Erdkunde durchgenommen?. Die nähen dann die Pommerschen Frauen en miniature für kleine Puppen, das sieht sehr nett aus. Dann tanzt man eine Stettiner Kreuzpolka und ißt Lungwurst mit Erbspüree. Lungwurst machen ist ein großes Geheimnis: man nimmt dazu Schweinefleisch und Lunge, Zwiebeln, Majoran und der Rest unterliegt der pommerschen Fleischerschweige- pflicht. Oder man ißt Salzkuchen. Das ist normaler Brötchenteig aus Weizenmehl, der glasiert und mit Salz bestreut wird. Oder Gänseklein mit Steckrüben und pommerschen Kaviar. Oder Wruggen, das pommersche „National„ -Gericht.

Im letzten Jahr konnte die Ortsgruppe Bremen 32 neue Mitglieder aufnehmen, das entspricht einem Zuwachs von über 20 Prozent. Die „Neuen“ werden auf dem Treffen einzeln vorgestellt, die Geburtsorte verglichen und entsprechend zugeordnet. „Wo kommen sie her? “ „Ich komme aus Bratislava“. „Sieh an, sieh an, er kommt aus Preßburg.“

Auf den Treffen soll das „kulturelle Erbe der Heimat“ hochgehalten werden. Dazu wird jeweils ein Thema ausgesucht, zu dem es entweder Vorträge gibt oder das aus den Erinnerungsfragmenten der PommeranerInnen zusammengesetzt wird. Gesternwar es der Karneval.

„Es ist für mich schön, die Stimmen der Heimat zu hören“ verrät mir eine Pommeranerin , die ihren Geburtsort schon mehrmals besucht hat. „Heute möchte ich da nicht mehr leben, da ist ja alles heruntergekommen und vergammelt.“

Eine andere zeigt mir stolz den letzten Brief aus der „Heimat“: „Wozu bekommen die hier eigentlich die Kredite, wenn die Bonzen das gute Geld durchbringen.“

„Wenn man es genau nimmt, ist das ja 800 Jahre lang deutsch gewesen“, historisiert Timm. Und zum Abschluß werden sie wohl alle das Pommernlied angestimmt haben:

Wenn in stiller Stunde Träume mich umweh'n, bringen frohe Kunde Geister ungeseh'n, reden von dem Lande meiner Heimat mir, hellem Meeresstrande, düsterm Waldrevier. Jetzt bin ich im Wandern, bin bald hier, bald dort, doch aus allen andern treibt's mich immer fort, bis in dir ich wieder finde meine Ruh‘, send‘ ich meine Lieder dir o Heimat zu. ma