Von einer Frau zur anderen hetzen...

■ Hebammen-Notstand in Berlin: Beim „termingerechten Gebären“ im Massenbetrieb bleibt wenig Zeit für einfühlsame Geburtshilfe / Schmerzmittel als Hebammenersatz?

„Wir können keine Verantwortung mehr für die Zustände in unseren Geburtsstationen übernehmen“ - so äußert sich Karin Eberhardt sehr besorgt über den Hebammen-Notstand in Berlin, der in der Bundesrepublik sogar noch schlimmer sei. Vor über zehn Jahren hat sie sich für den Beruf der Geburtshelferin entschieden, heute jedoch fällt es ihr schwer, den Berufsalltag mit ihren Vorstellungen und Wünschen unter einen Hut zu packen, denn der sieht ganz anders aus.

Im Martin-Luther-Krankenhaus, in dem Karin Eberhardt jetzt schon seit drei Jahren arbeitet, sind zehn Hebammen Tag und Nacht voll im Einsatz. 1.600 Kinder werden hier pro Jahr geboren, da kommen auf jede Hebamme 160 Geburten. „Das klingt gar nicht so schlimm, aber Geburten kommen nun mal nicht immer 'termingerecht‘. Da kann es schon mal passieren, daß Du in einer Schicht alleine sieben Frauen betreuen mußt, mal ist es ganz ruhig, dann aber kommen die Geburten beinahe stoßweise.“ Karin Eberhardt weiß, wovon sie spricht, erst kürzlich hatte sie selber so eine lange Nachtschicht.

Seit zwanzig Jahren sei die Zahl der Planstellen für Hebammen in den Krankenhäusern nicht erhöht worden, berichtet sie. In der Geburtshilfe jedoch hat sich in diesem Zeitraum eine ganze Menge verändert. „Zwischen zwei und fünf Frauen betreue ich in einer Schicht, parallel dazu muß ich aber noch da etwas überwachen, hier schnell mal putzen, Blutdruck messen oder mich um die Neuaufnahmen kümmern.“ Die katastrophale Personalpolitik gehe nicht nur auf Kosten der Hebammen. Schwangere würden abgefertigt, „weil keine Zeit mehr bleibt, die Frauen zu betreuen, sowohl medizinisch als auch psychologisch.“ Da hat Karin Eberhardt andere Vorstellungen. „Geburtshilfe bedeutet für mich helfen, Zeit haben, geduldig sein und sich auf die Frau einstellen können. Nur so kann ich auch Veränderungen bei der Frau und dem Kind in der Geburtsphase erkennen und dann dementsprechend handeln, aber wenn ich von einer zu anderen hetze, bekomme ich wenig mit.“

Mit der Zeit ist das so eine Sache in den Krankenhäusern, eingeleitete Geburten sind die Regel. Wehentröpfe werden gelegt, um die Geburten zu beschleunigen. Mittlerweile bringt beinahe jede sechste Frau ihr Kind per Kaiserschnitt auf die Welt. Wie der Bund Deutscher Hebammen berichtet, werden den Frauen häufig hohe Dosen an Schmerzmitteln verabreicht, weil sie alleingelassen werden müssen, da die Hebammen sich nicht gleichzeitig um alles andere kümmern können. Ebenso würden Mann oder Freund der Schwangeren während der Geburt damit beauftragt, den Verlauf der Wehen und die Herztöne des Kindes zu überwachen. „Das steht in krassem Widerspruch zu der angeblichen deutschen Kinderfreundlichkeit“, ärgert sich Karin Eberhardt. In den letzten Tarifverhandlungen seien die Hebammen vergessen worden, aber jetzt würden sich die jahrelangen Einzelkämpferinnen starkmachen, erzählt sie. „Wir müssen uns für ein menschenwürdigeres Kinderkriegen in den Krankenhäusern einsetzen“.

Julia Schmidt