Feier von Niederlagen?

AL-Bilanz aus 300 Tagen Regierungsbeteiligung  ■ K O M M E N T A R

Feiern können wir - vor allem unsere Niederlagen!“, so oder ähnlich wird ein Jahr Rot-Grün im Rechenschaftsbericht der AL-Fraktion immer wieder bilanziert. Wer die Arbeitsberichte der einzelnen Abgeordneten aufmerksam liest, erhält fast zwangsläufig den Eindruck, das übliche Sammelsurium an Äußerungen des schon klischeehaft frustrierten Alternativen vor sich zu haben. Trotzdem: Einzelne Arbeitsbereiche können natürlich beachtliche Erfolge vorweisen, auch wenn sie im Detail oft hinter den Koalitionsvereinbarungen zurückbleiben. Wie schwierig es ist, mit einer zunächst nur parlamentarischen Mehrheit zu regieren, häufig gegen den erbitterten Widerstand der Beamten in den jeweiligen Senatsverwaltungen und den eigenen Koalitionspartner - all das ist immer wieder zu lesen, ebenso wie die kaum verdaute Erfahrung des Wechsels von der Basisdemokratie zur Regierungsbeteiligung.

Dennoch: Was zur Zeit niemand überrascht, die Devise heißt „weitermachen“. Man hat Geschmack gefunden am Regieren. Fast beschwörend fordert der Fraktionsvorstand dazu auf, doch nicht jetzt aus der Koalition auszusteigen, deren größter Erfolg ihre pure Existenz sei. Streitbar wie bisher müsse man auch in Zukunft dem Koalitionspartner begegnen und soziale und ökologische Konzepte für beide Teile der Stadt erarbeiten.

Mindestens so schwer wie die Bundesgrünen tun sich die Berliner Alternativen mit der Abkehr von der Zweistaatlichkeit. An der bitteren Erkenntnis, daß die Vereinigung beider deutscher Staaten unvermeidlich ist, kommt auch die AL nicht vorbei. Welch schwere Geburt die deutschlandpolitische Erklärung der Fraktion war, wird an nahezu jeder Formulierung deutlich. Den Prozeß in Richtung eines Einheitsstaates will man aufhalten und bremsen, wo es geht. Trotz der allzu berechtigten Warnungen vor dem Einheitstaumel: Nur mit Nein-Sagen läßt sich kaum streitbare Politik machen. Zurück bleibt der Eindruck einer im Augenblick gar nicht streitbaren AL, die von den deutsch -deutschen Turbulenzen an die Wand gedrückt worden ist und von einem Regierenden Bürgermeister, der nahezu im Alleingang sein Augenmerk auf Gesamt-Berlin richtet.

Kordula Doerfler