Film, Video, Geschichte, Salat?

■ Jean-Luc Godards „Histoire (s) du cinema“, Kapitel 1 a und b und die anschließende Diskussion mit dem Publikum im Arsenal

Godard sieht echt betroffen aus. Einer im Publikum hat ihn ertappt. Das Saallicht ist dämmrig, die Luft zum Schneiden, klein steht Godard vor den enggefüllten Zuschauerreihen, so klein, daß allein sein Zauselkopf ins weiße Rechteck der Leinwand ragt und sich gegen den ansonsten dunklen Hintergrund profiliert. Was er, Godard, da angerichtet habe, ruft der hocherregte junge Mann, sei doch nur ein bunter Salat. Mit Texten, Inserts und Musik habe er das Eigentliche zugedeckt, die Spezifität von Kino habe er verraten: Die Bilder!„ Der Mann ringt um Atem, so unumstößlich ist die Wahrheit, absolut die Evidenz. Unschuldig Godards Augenaufschlag: „Ja“, gesteht Godard, „ein Salat, den man ißt, um herauszufinden, warum man Salat ißt“.

Armer Godard, er weiß immer noch nicht, was Kino ist. Dabei ist in den Histoire (s) du cinema an Definitionen kein Mangel. Kino sei: „die schönsten Frauen der Welt heiraten“, „keine Kunst, aber erst recht keine Technik“, „a girl and a gun“, „Traumfabrik“, „Mythen“, „jeunes filles en fleurs“, „ähnlich dem Christentum nicht auf eine historische Wahrheit gegründet“, „jeunes filles en pleurs“, eine „Industrie der Evasion“, „nirgends und woanders“.

Es habe ihn immer gewundert, daß Kinogeschichten geschrieben würden und daß das Kino sie nicht mit seinen eigenen Mitteln erzähle. „Aber es ist doch ein Videofilm“, wendet eine Frau ein - Godard hat die Filmgeschichte (n) für den französischen Canal Plus gemacht. Ob es etwa einen Unterschied zwischen einer Literatur des Bleistift und einer Literatur des Füllers gebe, fragt Godard zurück. „Schwach!“ murmelt der junge Mann. Video ist eine Technik des Fernsehens, aber ein Mittel des Kinos, weil es im Fernsehen, das sich weigert nachzudenken, nicht benutzt wird.

Im Video zieht Godard ein Buch aus dem Regal, schlägt es auf, sieht hinein, faßt sich an die Brille, richtet den Blick in eine nur ihm ermeßliche Ferne, wie der Zahnarzt in der Blend-a-med Reklame, und raunt: „Martire et Memoire“. Er arbeitet mit der Videotechnik und dem Material aus der Filmgeschichte wie die hiphop-Musiker des CD-Zeitalters mit den altertümlichen Vinylplatten: scratching und sampling - Beschleunigen und Verlangsamen der Sequenzen, Ein- und Ausblenden, stotternde Wiederholung, Überblenden, Zitieren, Kombinieren, und Eigenes hinzusetzen, das Klappern der Schreibmaschine, Schrifteinblendungen, Kommentare, um vielleicht zu fassen, was die Bilder nicht alleine zeigen, die Sprache nicht alleine sagt, die Schrift nicht alleine festhält, die Musik nicht alleine ausdrückt, warum also Filme gemacht wurden.

„Montage...Diese Beliebigkeit... Diskurs!“, gibt ein poststrukturalistisch gebildet wirkender Herr zu bedenken. „Und siehe, es war gut“, antwortet - zumindest sinngemäß der schlaue Calvinist. Kino sei die siebte Kunst, und eine Kunst des siebten Tags, und Freiheit sei kein Recht, sondern eine Pflicht. Er habe, als er das Video gemacht habe, zufällig eine Rede wiedergelesen, die de Gaulle 1944 gehalten hat und in der der Satz steht, daß Frankreich kämpfen muß. Da habe er an Les dames du Bois de Boulogne denken müssen, diesen ganz hermetischen und intimen Liebesfilm von Bresson, der aus demselben Jahr 44 stammt. Agnes‘ letzter Satz in dem Film lautet: „Ich werde kämpfen.“ Also habe er de Gaulles Rede mit dieser Schlußszene kombiniert und gefunden, daß Les dames du Bois de Boulogne der einzige wahre Resistance-Film sei. Ich will mehr von diesem Salat.

Thierry Chervel

Histoire (s) du cinma , zwei Folgen 50 Minuten, von Jean-Luc Godard

14.2. um 12 Uhr in der Medienoperative, Potsdamerstraße 96