„Soviel Masochismus“

■ Es gibt nicht nur Filme bei den Filmfestspielen. Ebensowichtig sind Diskussionen. Manchmal werden welche vertan. So die über die Tresorfilme aus der DDR

Auf dem Podium sitzen 15 Männer und eine Frau. Regisseure, Dramaturgen, Kameramänner, Drehbuchautoren. 15 ältere Herren mit grauen Gesichtern und eine Dramaturgin, Christel Gräf, die am Ende mit Bedauern konstatiert, daß sich in Zukunft wohl kaum noch jemand für DEFA-Filme interessieren wird. 15 Männer, denen man die 25 Jahre ansieht, die seit dem 11. Plenum vergangen sind. Ein Vierteljahrhundert, ein Achtel der Zeit seit dem Sturm auf die Bastille, sagt Frank Vogel, Regisseur von „Denk bloß nicht, ich heule“. Nein, meint Wolfgang Kohlhasse, man ist daran nicht umgekommen. „Die meisten von uns haben ihre Identität nicht verloren“. Wenn er recht hat, dann ist es eine traurige Identität.

In einem sind alle sich einig, von Kurt Maetzig, der damals im ND seine Selbstkritik veröffentlichte und sich arrangierte, bis zu Jürgen Böttcher, der nach „Jahrgang 45“, dem letzten Film, der damals verboten wurde, tatsächlich nie wieder einen Spielfilm drehte: Wie naiv sie alle waren. Sowohl, was die Hoffnung jedes einzelnen anging, daß sein Film durchkommt, ausgerechnet seiner, als auch, was die Hoffnung auf einen anderen, besseren Sozialismus betraf.

Jürgen Böttcher meint selbstkritisch: „Ich war als Maler verboten, bereits zwei andere Dokumentarfilme von mir waren im Tresor gelandet, und nun wurde auch mein erster Spielfilm verboten. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als Dokumentarfilme zu drehen. Wenn ich heute diesen Weg überblicke, frage ich mich wie das eigentlich möglich war: Soviel Masochismus!“

Kein Wort über die, die aus dem Land getrieben wurden, kein Wort über Maetzigs Selbstkritik, über die individuellen Versuche jedes einzelnen, seine guten Beziehungen zu Margot Honecker oder sonst irgendein Privileg auszunutzen, um seinen Film durchzubekommen. Nach der Solidarität der Regisseure untereinander befragt, sagt Maetzig gar, sie sei groß gewesen.

Noch vor 10 Tagen hatte die Frau des Regisseurs Klein in einer Diskussion in Ost-Berlin erregt berichtet, wie wütend damals alle auf Maetzigs Selbstkritik waren und daß keiner mehr mit ihm habe sprechen wollen.

Zu Beginn der Diskussion hatte sich Manfred Bieler zu Wort gemeldet. Bieler, Drehbuchautor von „Das Kaninchen bin ich“ hatte sich im Dezember in Ost-Berlin bereits mit Kurt Maetzig zu streiten versucht, er hatte ihn aufgefordert, wenigstens jetzt über seine Mitschuld zu sprechen.

Diesmal hatte er einen Text vorbereitet, über die Entstehungsgeschichte seines verbotenen Romans „Das Kaninchen bin ich“. Einer seiner Freunde von der Humboldt -Universität, Jochen Staritz, sei damals verhaftet worden, weil er eine sogenannte 'Gruppe‘ gegründet hätte.

Sein Freund habe vier Jahre lang im Zuchthaus Brandenburg gesessen. „Ich nahm mir, vielleicht etwas idealistisch gesonnen, vor, daß ich die DDR niemals verlassen werde, solange mein Freund noch im Zuchthaus sitzt. Ich verschwor mich sozusagen mit der DDR“.

Bieler erzählt weiter von seinen Besuchen im Gefängnis, von vergeblichen Gesprächen mit dem Generalstaatsanwalt Wrangel und Major Ackermann. Man ahnt, welche Geschichte er da erzählen will: die seiner eigenen Naivität, die seiner Verstrickung und die seines Weggangs aus der DDR. Aber ein Zuschauer unterbricht ihn, er habe seinen Auftritt doch schon im Dezember in Ost-Berlin gehabt. Bieler bricht seine Geschichte ab, knapp und höflich. Keiner, weder Forums-Chef Ulrich Gregor, noch Kurt Maetzig, der in Bielers Geschichte bestimmt noch vorgekommen war, bittet ihn fortzufahren. Ich nehme an, der Zwischenrufer kam ihnen gelegen.

Christiane Peitz