: Im Gleichschritt heim ins Reich
■ Von „Dableibern“ und „Heimkehrern“ / Fernsehfilm über Südtirol im Faschismus / Plädoyer für Toleranz
Um Südtirol, auch heute noch gelegentlich ein Unruheland, ging der zweiteilige Fernsehfilm Verkaufte Heimat von Felix Mitterer (Buch) und Karin Brandauer (Regie), der am vergangenen Mittwoch und Sonntag ausgestrahlt wurde.
Gezeigt werden Stationen aus der Geschichte dieses Landstrichs aus den Jahren 1938 bis 1945. Dabei geht es hauptsächlich um die Folgen des Umsiedlungsabkommens zwischen Mussolini und Hitler: Bis zum 31. Dezember 1938 mußten sich die Südtiroler entscheiden, ob sie in ihrer Heimat bleiben oder „heim ins Reich“ wollten.
Im Frieden von St. Germain war Südtirol 1919 von Österreich abgetrennt und Italien zugeschlagen worden. Die hier lebenden Deutschsprachigen sahen sich dem Versuch einer Italisierung ausgesetzt - deutsch zu sprechen war verboten, in den Schulen wurde italienisch unterrichtet, die Romanisierung von deutschen Namen war angestrebt. Die traditionsverhafteten deutschsprachigen Südtiroler sahen ihrerseits auf die Italiener, die „Walschen“, herab, stellten dem Nationalismus der Italiener den deutschen Nationalismus entgegen, brandmarkten jeden, der Verständigung anstrebte oder auch nur Toleranz, als „Verräter“, „Walscher“, „Schuft“. Die Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung sollte ein Spannungsfeld der faschistischen Achse Berlin-Rom entschärfen - und war damit auch ein Stück Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges. So wurden die Südtiroler Aussiedler denn auch als „Wehrbauern“ in den besetzten Gebieten des Ostens angesiedelt und mußten schließlich an die Front.
Das Problem der Zweisprachigkeit wird von Karin Brandauer dadurch deutlich gemacht, daß die italienische Konversation im Original belassen und lediglich in Untertiteln übersetzt wurde. Für die ZuschauerInnen zwar anspannend, aber durch ein Stilmittel, das etwas von der Spannung der damaligen Situation vermittelt.
Das Leben der Kinder spiegelt im Film den wahnsinnigen Nationalismus der Eltern wider: Schlägereien zwischen Schülern, deren Eltern auf verschiedenen Seiten stehen, Provokationen in der italienischen Schule mit Hakenkreuz und Hitler-Hoffnung, ein Brandanschlag auf einen Hof, der gerade von Italienern bezogen wurde...
Sorgfältig verhindern es Drehbuch und Regie, daß die ZuschauerInnen Partei ergreifen können für die eine oder andere Seite: Sobald sich Mitgefühl für die Deutschen einstellen kann, erfolgt kontrastierend eine Szene, die diese Wirkung wieder aufhebt - das Gleiche geschieht bei Einstellungen, die eine Parteinahme für die Italiener auslösen könnte. Selbst die Liebesgeschichte zwischen Anna und Ettore ist auf diese Weise über weite Strecken widersprüchlich. Neben diesen beiden Figuren, die für die Möglichkeit des Zusammenlebens von Deutschen und Italienern in Südtirol stehen, ist es nur der Pfarrer, der durch seine humanistische Haltung, durch die Ablehnung sowohl des deutschen als auch des italienischen Faschismus, durch sein späteres Engagement gegen den Krieg und für die Partisanen eine positive Rolle spielt. Doch diese positive Rolle bezieht sich nur auf seine Person - das Verhalten der Kirchenführer wird ebenfalls der Kritik unterworfen.
Verkaufte Heimat - ein Film über die fehlgeleitete Liebe zur Heimat, ein historisch untermauertes Plädoyer für Toleranz. Gewiß: ein Film über Geschichte - aber dabei doch ein aktueller Film. Es sei nur erinnert an die Verfolgungen der Türken in Bulgarien, an die blutige Unterdrückung der Kurden in der Türkei oder an die Bürgerkriegsszenen in Nagorny Karabach. Doch so weit muß der Blick gar nicht gehen - die ARD sebst setzte nach der ersten Folge von Verkaufte Heimat, sicher unbeabsichtigt, eine aktuelle Parallele auf das Programm: Dem Chauvinismus der dreißiger Jahre folgte auf dem Bildschirm der Nationalismus unserer Tage: ein Brennpunkt thematisierte die von der Regierung Kohl angestrebten Währungsunion mit der DDR, die Überlegungen, die DDR „heim in den Bund“ zu führen.
Manfred Kellner
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