„Das Geld wird von jetzt an alle verfolgen“

Lillehammer (Norwegen) ganz groß im Geld: Die Winterolympiade 1994 wird siebenmal teurer als anfangs angenommen  ■  Aus Lillehammer Gunnar Köhne

Den meisten Lillehammerern schwante, daß die Olympia -Organisatoren ihrer Stadt die Hand zu locker am Geldbeutel hatten - oder besser gesagt: daß sie keine Ahnung hatten, wieviel überhaupt im Säckel drin ist. Da wollten 29 Herren und Damen des Lillehammer Olympia Organisationskomitees (LOOC) doch allen Ernstes in der Fußgängerzone des kleinen norwegischen Städtchens Wärmekabel verlegen lassen, damit die Besucher der Olympischen Winterspiele 1994 nicht über Schnee zu rutschen brauchen. „Eine totale Schnapsidee“, regte sich ein älterer Herr am Stand einer Bürgerinitiative auf, die dagegen Unterschriften sammelte. „Statt auf Schnee gehen wir dann auf Schneematsch, oder wie?“

Bald darauf, Ende November, sickerte nach und nach durch, daß die bisher veranschlagten Kosten für die Winterolympiade von 1,8 Milliarden Kronen (etwa 480.000 Mark) vermutlich um ein Siebenfaches übertroffen werden. 7,75 Milliarden Kronen lautet die letzte Konsequenz aus einem unsäglich schlampigen Kostenvoranschlag. Da wurde zum Beispiel schlicht vergessen, daß man für die zu erwartenden 8.000 Medienleute aus aller Welt auch Unterkünfte braucht. An die Arbeitsplätze der Journalisten, das Radio- und Fernsehzentrum, hatte man zwar gedacht, Norwegens Fernsehanstalt aber nicht daran, daß sie dafür noch technisches Gerät einkaufen muß: 500 Millionen extra.

Alle guten Geister müssen die LOOC-Planer verlassen haben, als sie die Gesamtbetriebskosten der Spiele über den Daumen peilten. 100 Millionen Kronen hielten sie für ausreichend, zwei Milliarden werden jetzt als wahrscheinlich angenommen. Ein Skandal, der Norwegen in seiner nun schon anderthalb Jahre währenden Olympia-Euphorie schwer erschütterte. Personelle Konsequenzen blieben nicht aus. Der PR-Manager und der Vorsitzende des LOOC mußten ihren Hut nehmen, man erwog gar, die Spiele doch noch an den ungeliebten schwedischen Mitkonkurrenten Ore abzugeben oder wenigstens einen Teil der Wettbewerbe in Oslo auszutragen.

Doch die kleine sozialistische Linkspartei war die einzige, die die Belastung von 350 Kronen pro Einwohner angesichts steigender Arbeitslosigkeit für nicht akzeptabel hielt. Die Sozialdemokraten und die Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Syse entdeckten dagegen die „nationale Verantwortung“, jetzt nicht vor dem Finanzfeind zu kneifen. Sie gaben zu, daß diese Spiele ein riesiges Minusgeschäft sein werden, eine Verlegung aber auch nicht billiger käme.

In diesen Tagen wird dem Parlament in Oslo von der Regierung eine Entschließung vorgelegt, nach der die Staatsgarantie für Lillehammer 1994 von 1,8 auf die erforderlichen knapp acht Milliarden erhöht werden soll. Es gilt als sicher, daß sie angenommen wird. Den enormen Ausgaben stehen voraussichtlich nur 2,7 Milliarden Kronen an Einnahmen gegenüber, etwa aus dem Verkauf der Fernsehrechte an CBS. Mehr soll später aus dem Tourismusgeschäft hereinkommen. Um solch ein Loch allerdings wieder zu stopfen, müßte der ausländische Touristenstrom nach Norwegen um 40 Prozent steigen und sich auf diesem Niveau zehn Jahre lang halten. Das errechneten Mitarbeiter der Osloer Handelshochschule und fügten gleich hinzu: „Total unrealistisch.“

„Die Frage ist nicht, wieviel es kostet, sondern wieviel wir zurückerhalten“, verteidigt sich der Bürgermeister Thomassen gegen Kritik. Lillehammer, bislang höchstens als Geburtsstadt der Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset bekannt, erhofft sich immer noch eine blühende Zukunft von den Spielen. Ostnorwegen gilt als strukturschwache Region, ohne Ölreichtümer wie der Westen und im Schatten der Hauptstadt Oslo.

Lillehammer - fünf Tankstellen, ein Missionshaus, eine Käsehobelfabrik und den wunderschönen See Mjösta vor der Tür - wollte auch einmal im Licht stehen, und es wurde gleich losgelegt. Schon elf Monate nach der IOC-Entscheidung für die 22.000-Einwohner-Stadt stand eine von zwei neuen Eissporthallen, und Künstler, Musiker und Architekten aus dem ganzen Land machen sich schon öffentlich Gedanken über die Eröffnungszeremonie.

Die bisherige Planung läßt dennoch einige behutsame Ansätze erkennen und manche vermuten, daß es deshalb so teuer wird: Es soll nicht höher als zweigeschossig gebaut werden und bei den Wohnhäusern für die Athleten und Journalisten auch nur in der landesüblichen Holzbauweise. Nicht alle Olympia -Häuser sollen später Hotels werden. Das Pressecenter beispielsweise soll eine neue Fachhochschule beherbergen. Auch dies wird als Stärkung der Region verstanden.

Ungewöhnlich ist auch die Beteiligung von Umweltschützern an den Planungen. Der norwegische Naturschützerbund hat ein vom LOOC finanziertes ständiges Büro am Ort. Als aus diesem Einspruch gegen ein übermäßiges Abholzen für die Langlauf -Loipen kam, wurde tatsächlich eine neue Streckenführung erdacht. Büroleiter Olav Myrholt befürchtet jetzt allerdings, daß seine Einwände künftig mit dem Sparargument beiseite geschoben werden können. „Das Geld wird alle in Lillehammer von jetzt ab bis zum letzten Wettkampftag in vier Jahren verfolgen“, meint der Journalist Tron Strand von der Zeitung 'Bergens Tidende‘. „Die Kosten werden ihnen ständig im Nacken sitzen. Mal sehen, ob sich unter solchen Umständen am Ende überhaupt noch jemand richtig freuen kann.“