„Schneller Anschluß geht zu Lasten der Frauen“

Tatjana Böhm ist Ministerin für den unabhängigen Frauenverband / Recht auf Arbeit für Frauen sichern / Heute erste Demo gegen Sozialabbau / Frauenverband auf der Suche nach BündnispartnerInnen / Ziehen Feministinnen in die Volkskammer ein?  ■  Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) - Fototermin für die Hamburger Tagesschau: etwas unbeholfen posiert sie vor der Kamera, aber dann macht es ihr doch Spaß. Tatjana Böhm, seit einer Woche für den unabhängigen Frauenverband Ministerin im Kabinett Modrow, kommt mit der DDR-Regierung nach Bonn. Da braucht die Tagesschau noch schnell ein Standbild. Seit einer Woche ist sie im Amt, die Dienstreise nach Prag hat sie schon hinter sich, ebenso Kabinettssitzungen und Arbeit im Verfassungsausschuß. Ein Auftritt in der Talkshow von Lea Rosh ist absolviert, am kommenden Wochenende ist der offizielle Gründungskongreß des Frauenverbandes. Damit kommt sie ohne Probleme auf eine 70-Stunden-Woche. Dabei steht „Zeithaben“ eigentlich ganz oben auf ihrem persönlichen Wunschzettel. Wie die meisten Frauen der DDR klagt sie über die Alltagshetze, das „permanente Organisieren“.

Zeit die Seele baumeln zu lassen, die gibt es jetzt einfach nicht. Der Frauendachverband wird mit eigenen Kandidatinnen für die Volkskammerwahl antreten, es gilt Fernsehauftritte vorzubereiten, den Gründungskongreß zu organisieren. Die Handvoll Aktivistinnen ist zunehmend gestreßt und gereizt. Von der Aufbruchsstimmung Anfang Dezember ist gegenwärtig wenig zu spüren. Bei den öffentlichen Auftritten der Frauen ist ein neuer Tonfall hörbar: sie fühlen sich - wie die anderen Oppostionsgruppen - mehr und mehr mit dem Rücken zur Wand. So warnt der Verband vor einem „überstürzten Anschluß“, der „sicher zu Lasten der Frauen geht“ und plädiert für eine „schrittweise Vereinigung“. Dabei ist den Frauen klar, daß der „Prozeß nicht mehr aufzuhalten ist“. Jetzt treten sie also an, das „Schlimmste zu verhindern“. Das wäre? „Die Einschränkung des Rechts auf eine ökonomisch selbständige Existenz“, so Eva Schäfer aus Berlin, eine der Sprecherinnen. Viele Frauen in der DDR seien verunsichert über die jüngsten Enwicklungen und befürchteten zur „Arbeitsmarktreserve“ degradiert zu werden. Schon jetzt seien Einschränkungen im Sozialbereich, besonders bei der Kinderbetreuung, spürbar. Der Verband organisierte für den heutigen Dienstag bereits eine Demonstration gegen Sozialabbau - gemeinsam mit Westberliner Erzieherinnen, die seit Wochen für bessere Arbeitsbedingungen streiken.

In Bonn will Tatjana Böhm diese „sozialen Fragen“ zur Sprache bringen. Außerdem hofft sie mit einer Reihe von Frauen - von Bundestagspräsidentin Süssmuth über Frauen der SPD und der Grünen - informelle Gespräche führen zu können.

„Natürlich gibt es auch Frauen, die gern mal pausieren, mehr Zeit für ihre Kinder haben möchten“, sagt Tatjana Böhm, aber „ein Leben lang von einem Ehemann abhängig sein - das kann sich keine vorstellen“. Die 33jährige Soziologin ist geschieden und lebt mit ihrer knapp 12jährigen Tochter in einer Berliner Altbauwohnung. Nach einem „bösen Jahr“ der Trennung ist das Verhältnis zum Ex-Ehemann nun wieder „freundschaftlich“. Die ökonomische Unabhängigkeit hat die Frauen der DDR selbstbewußt gemacht. Frauen wie Tatjana Böhm oder Eva Schäfer reagieren verärgert, wenn einseitig die Frauenbewegung der Bundesrepublik als Maßstab gelten soll. „Ihr könnt auch was von uns lernen“, heißt es dann.

Als „frauenbewegt“ versteht sich die Wissenschaftlerin seit Jahren. Unter den Kolleginnen an der Humboldt-Universität, die sich für Frauenthemen interessierten, bildeten sich informelle Zirkel. Dann waren da noch die Freundinnen aus dem westlichen Ausland, und die Klassikerinnen der Frauenliteratur, ob Anja Meulenbelt oder Doris Lessing, kursierten eben auch in der DDR.

Tatjana Böhm erzählt gern und unbekümmert, aber auf die Frage nach ihrer SED-Angehörigkeit reagiert sie unwillig. Ja, sie war drin, die Wende zur PDS habe sie aber nicht mehr mitgemacht. Natürlich habe sie „gelitten“ unter dem Kurs der Partei. Aber, so fügt sie fast im gleichen Atemzug hinzu, „die Opferhaltung“, die so viele jetzt an den Tag legten, „die finde ich auch beknackt.“ Ebenso die große Abrechnung mit der Führungsspitze. „Die Leute sollen sich lieber fragen, wo sie selbst Täter waren“.

Wenn die Politik sie wieder losläßt, erzählt sie, würde sie gern ein Projekt zu „oral history“ machen. Von den „öden sozialwissenschaftlichen Methoden“ hat sie genug, deshalb reizt sie die biographische Geschichtsschreibung mit ihren Fragen nach dem „ganzen Leben“. Warum sind „Sinnlichkeit und Erotik“ so „deformiert“, wo bleiben „Lebenfreude“ und „Neugierde“? Da schwingt die Sehnsucht mit, endlich das nachholen zu können, was für die Freundinnen im Ausland seit Jahren selbstverständlich ist: Reisen, Selbsterfahrung, Körperarbeit... „Einmal Zeit und Geld haben, durch Italien und Griechenland zu trödeln“, ein Stoßseufzer.

Wenn die Politik sie wieder losläßt: nach dem 18. März, dem Termin der Volkskammerwahl, wird die jetzige Regierung wohl noch eine Weile die Geschäfte führen. Unddann? Da sich alles so schnell ändert, will sie keine Prognosen abgeben. Wird der Frauenverband in der Volkskammer vertreten sein? „Ich hoffe es“, sagt Tatjana Böhm, „ich hoffe und denke es“, fügt sie zweckoptimistisch hinzu. Die Wahlchancen sind trotzdem nicht allzu rosig. Das „Bündnis 90“ hat auf Veto von Demokratie Jetzt die Aufnahme des Dachverbands abgelehnt. Begründung: der Zusammenschluß mit den Frauen vergraule die Wähler aus dem christlichen Lager. Der Frauenverband hat die Abweisung bedauert, auch das Neue Forum und die Initiative für Frieden und Menschenrechte waren nicht glücklich über die Entscheidung. Der Frauenverband möchte jetzt ein Bündnis mit den Grünen, der Vereinigten Linken und der Jugendliga. Am liebsten wäre den Frauen, es käme doch noch ein Zusammenschluß aller Bürgerbewegungen zustande. Dafür aber stehen die Zeichen schlecht.

Ob der Frauenverband nun in die Volkskammer kommen wird oder nicht - „auch wenn aus all dem nichts wird“, sagt Tatjana Böhm, in dieser „Umbruchphase“ habe man so viele neue Frauen und Männer kennengelernt, so viele neue Erfahrungen gemacht, „allein schon das zählt“.