„Wir haben keine Druckmittel in der Hand“

Gerd Poppe, Minister im Kabinett Modrow für die Initiative „Frieden und Menschenrechte“, hofft die Bundesregierung von notwendigen Stabilisierungsmaßnahmen zu überzeugen / Eine Vereinbarung über eine sofortige Währungsunion wäre für Poppe ein Rücktrittsgrund  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Poppe, der Runde Tisch hat gestern einen Beschluß gefaßt, in dem die Rede von destabilisierenden Kräften in der Bundesrepublik ist. Da kann es sich doch nur um Ihre heutigen Verhandlungspartner handeln?

Gerd Poppe: Wer da im einzelnen angesprochen ist, geht aus dem Beschluß nicht hervor. Es ist natürlich klar, daß damit z.B. die Äußerung von Herrn Teltschik über die Zahlungsunfähigkeit der DDR gemeint sind. Es besteht in der Regierung ein großer Konsens, daß solche Äußerungen die Stabilität der DDR gefährden, und das in einer Zeit, in der es hier erstmals zu einer Selbstbestimmung der DDR -Bevölkerung kommen soll.

Was läßt Sie denn hoffen, daß die Bundesregierung von ihrem jüngsten Destabilisierungskurs abgeht und auf das Selbstbestimmungsrecht der DDR Rücksicht nimmt?

Wir werden der Bundesregierung natürlich die Situation im Lande erläutern müssen. Es gibt ja in der Tat Auflösungserscheinungen etwa im kommunalen Bereich, in den Städteparlamenten; es gibt Hamsterkäufe usw. Es gibt aber auch eine große Angst in der Bevölkerung über die unkalkulierbaren sozialen Folgen einer schnellen Währungsunion. Durch Äußerungen wie die von Herrn Teltschik werden die Ängste in der Bevölkerung weiter verstärkt, was natürlich auch zu einem Anwachsen des Übersiedlerstroms führt, woran der Bundesregierung nicht gelegen sein kann. Das ist sicher ein Punkt, wo sich die Interessen der Bundesrepublik mit unseren decken. Bonn sollte darüber nachdenken, wie man wenigstens eine Teilstabilität in der DDR erreichen kann, die zumindest die Durchführung der Wahlen garantiert.

In diesem Zusammenhang wendet sich der Runde Tisch mit der Bitte um einen sogenannten Solidarbeitrag an die Bundesregierung. Das wäre unserer Meinung nach der einzige Weg, die Situation zu entkrampfen. Wir würden diese Unterstützung in Bereichen einsetzen, die die Bevölkerung derzeit am meisten belasten. Das ist etwa der Zustand des Dienstleistungswesens, der Gesundheitsversorgung und der Infrastruktur.

Gibt es denn innerhalb der Regierung und am Runden Tisch einen Konsens über die Verteilung des gewünschten Solidarbeitrags?

Natürlich gibt es hierzu, nicht nur zwischen Bonn und uns, sondern auch am Runden Tisch, erhebliche Meinungsunterschiede. Einige Vertreter können sich finanzielle Bonner Hilfen nur als massive Unterstützung mittelständiger Betriebe vorstellen. Wir sind der Meinung, daß es zunächst einmal für eine Teillösung bei den gravierendsten Problembereichen eingesetzt werden muß.

Es gibt doch aber einen mehr oder weniger offenen Interessenkonflikt: die DDR-Regierung bittet um Hilfeleistungen in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Mark. Die Bundesregierung möchte in erster Linie mit der Währungsunion den Prozeß der Einheit beschleunigen. Der Runde Tisch hat sich, zumindest für die nächste Zeit, gegen die schnelle Währungsunion ausgesprochen.

Die Währungsunion ist vor allem ein Wahlkampfmanöver der Union, um verlorenes Terrain wiedergutzumachen. Ich glaube aber, wir haben einige gute Argumente auf unserer Seite, daß ein Vereinigungsprozeß an den europäischen Prozeß im Sinne der KSZE gebunden bleiben muß. In diesem Zusammenhang werden wir natürlich auch auf die Bedenken der Nachbarn in Ost und West verweisen, etwa aus Frankreich und Großbritannien. Ich glaube nicht, daß sich die Bundesregierung letztlich gegen die Ratschläge ihrer eigenen Verbündeten hemmungslos durchsetzen will.

Wir haben allerdings wirklich keine Druckmittel in der Hand, um die Bundesrepublik zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Aber ich denke, die wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen für Mittel- und Osteuropa müssen geklärt werden. Wenn jetzt in Bonn behauptet wird, daß Gorbatschow grünes Licht gegeben hat, so glaube ich, das ist eine Überinterpretation.

Wird denn die DDR-Regierung in Bonn überhaupt auf einer einheitlichen Linie verhandeln, nachdem sich z.B. gestern am Runden Tisch gezeigt hat, daß etwa die CDU oder der Demokratische Aufbruch gegenüber der Bundesregierung konzessionsbereiter sind?

Das Auftreten der Regierungsmitglieder muß geschlossen geschehen. Es kann nicht sein, daß parteipolitische Interessen als gegensätzliche Positionen innerhalb der Regierung ausgetragen werden. Unsere Position jedenfalls ist eindeutig: Wir wenden uns gegen jede Form der Übergabe der DDR. Das ist durchaus ja auch die Position Modrows.

Gibt es für Sie bei den Verhandlungen eine Sollbruchstelle in bezug auf ihre Kabinettsmitgliedschaft?

Wenn gegen das Votum des Runden Tisches dennoch eine sofortige Währungsunion beschlossen würde und damit gegen die Interessen der Menschen nach sozialer Sicherung entschieden würde, dann würde ich in dieser Regierung keine Aufgabe mehr sehen.

Das Gespräch führte Matthias Geis