Sechs Kurden auf freiem Fuß

Haftverschonung im Düsseldorfer PKK-Verfahren nach zwei Jahren U-Haft / Verteidiger fordern Freilassung von weiteren vier Angeklagten 'Spiegel‘ berichtet über ersten Kronzeugendeal mit einem in Berlin angeklagten Gefangenen  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Sechs der fünfzehn in U-Haft einsitzenden Angeklagten im sogenannten Düsseldorfer Kurdenverfahren sind am vergangenen Freitag nach 30 Verhandlungstagen gegen Kautionszahlungen zwischen 20.000 und 30.000 Mark aus der Haft entlassen worden. Schon zwei Tage zuvor hatte der 5. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts das Verfahren gegen einen der insgesamt 18 Angeklagten eingestellt. Die meisten der jetzt haftentlassenen Angeklagten, darunter eine Frau, saßen bereits seit zwei Jahren in U-Haft.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft ihnen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (Paragraph 129a) und Freiheitsberaubung vor. Nach der Definition der BAW besteht die „terroristische Vereinigung“ aus Mitgliedern der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die innerhalb dieser Partei den Bereich „Parteisicherheit, Kontrolle und Nachrichtendienst“ bilden. Mitglieder dieser Parteigremien sollen laut Anklage mehrere PKK-Dissidenten ermordet haben. Weil ausländische Organisationen nach Paragraph 129a nicht verfolgt werden können, erfand die BAW über eine abenteuerliche Konstruktion die „terroristische Vereinigung“ innerhalb der PKK mit Sitz in Köln. Diese Konstruktion, die

-wie in allen RAF-Verfahren - die Verurteilung aller „Mitglieder“ unabhängig von ihrer konkreten Tatbeteiligung zu hohen Haftstrafen möglich macht, wird zunehmend zum eigentlichen Prozeßhindernis. Die Verteidiger fordern jetzt die Einstellung aller Paragraph-129a-Verfahren sowie die Haftentlassung „all derjenigen, die ausschließlich (neben Paragraph 129a) wegen Vergehens-Tatbeständen angeklagt sind“. Das trifft auf vier weitere Angeklagte zu. Die Entlassung der sechs Angeklagten bezeichnet die Anwältin Ulrike Halm, deren Mandant ebenfalls freikam, „als eine willkürliche Entscheidung“, weil die Anklagen dieser zehn Angeklagten „sich nicht unterscheiden“.

In einer Erklärung werfen die VerteidigerInnen dem Senat vor, die Haftentlassung viel zu spät verfügt zu haben. Inzwischen sei allen Beobachtern klar, „daß der als politische Demonstration geplante Massenprozeß gegen die ausländischen Angehörigen einer Befreiungsbewegung in Kurdistan juristisch nicht haltbar ist“, heißt es in der Erklärung weiter. Die nach der geforderten Einstellung aller Paragraph 129a-Verfahren übrig bleibenden Anklagen müssen nach Auffassung der Verteidigung „von den Sonderstaatsschutzgerichten an die ordentliche Gerichtsbarkeit“ verwiesen werden.

Eine Verurteilung der Angeklagten will die BAW mit Hilfe von Kronzeugen erreichen. Wie der 'Spiegel‘ am Montag berichtet, hat die BAW mit dem in Berlin angeklagten Kurden Ali Centiner, der 1984 zusammen mit weiteren PKK-Genossen den Parteidissidenten Murat Bayrakli ermordet haben soll, erstmals in der Justizgeschichte der BRD einen Kronzeugendeal abgeschlossen. Cetiner soll in seinem Mordprozeß aller Vorraussicht nach mit drei Jahren Freiheitsstrafe davonkommen, wenn er seine Mittäter - dazu zählen laut Anklage mehrere Kurden im Düsseldorfer Prozeß belastet. Am heutigen Dienstag wird der Prozeß in Düsseldorf fortgesetzt. Die Zahl der Angeklagten, die den Prozeß hinter einer Trennscheibe verfolgen müssen, dürfte in den nächsten Tagen weiter schwinden.