Für Bonn sind Veränderungen im „Kernbereich der Apartheid“ noch nicht auszumachen

■ Auswärtiges Amt geht zu London etwas auf Distanz: Vor der Aufhebung der Boykottbeschlüsse soll der Ausnahmezustand aufgehoben werden / Auch Kohl lud Mandela ein / Soli-Szene: Mandela ist frei, Südafrika aber noch nicht

Nelson Mandelas Terminkalender wird immer voller. Gestern lud ihn auch Kanzler Kohl zu politischen Gesprächen ein, um, wie Regierungssprecher Schäfer sagte, „die schwarze und farbige Opposition Südafrikas auf dem Weg zu Dialogbereitschaft und Gewaltfreiheit zu bestärken“. Mandela hatte sich am Tag nach seiner Freilassung für eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes ausgesprochen.

Derweil sieht das Auswärtige Amt in Bonn erst zwei von drei Voraussetzungen eingelöst, um Gespräche über die Aufhebung der mageren Sanktionen zu führen, die die EG im Jahr 1986 verhängt hatte.

Ein Sprecher des Amtes erklärte auf Anfrage, daß dazu nach der Wiederzulassung der Oppositionsgruppen und der Freilassung Mandelas auch der Ausnahmezustand aufgehoben werden müsse. Bei anderen Gefangenen in Südafrika sei derzeit noch unklar, ob sie das Kriterium erfüllten, nicht wegen krimineller Gewalttaten verurteilt worden zu sein. Maßgebend hierfür sei die südafrikanische Rechtsprechung.

Während Veränderungen im „Kernbereich der Apartheid“ auch noch nicht auszumachen seien, nehme jedoch die Dialogbereitschaft in Südafrika zu. Zur Forderung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, den Boykott schon jetzt aufzuheben, sagte der Sprecher, die Haltung der Bundesregierung stimme „nicht unbedingt mit dem überein, was Frau Thatcher gesagt hat“.

Die Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) in Bonn meldete aus rund 30 bundesdeutschen Städten Kundgebungen und Feste, mit denen die Freilassung Mandelas gefeiert wurde. In West-Berlin fand schon unmittelbar nach der Haftentlassung eine Kundgebung mit dem Regierenden Bürgermeister Momper und der ANC -Vertreterin Thuthukile Radebi aus Ost-Berlin statt; für den gestrigen Abend waren Fackelumzüge in Frankfurt und Darmstadt angekündigt. In Bonn hängt am DGB-Haus ein großes Transparent mit der Aufschrift: „Nelson Mandela ist frei Südafrika noch nicht. Boykottiert Südafrika jetzt!“

Wie die AAB machten gestern zahlreiche politische, kirchliche und Menschenrechtsorganisationen darauf aufmerksam, daß die zentralen Forderungen des Widerstandes noch nicht erfüllt sind und die Apartheid weiter existiert.

Im Saarländischen Rundfunk begrüßte der amnesty -Südafrikaexperte Ingo Jacobsen zwar die Freilassung Mandelas als wichtigen ersten Schritt, forderte aber: „Die vielen Gesetze, die zu Menschenrechtsverletzungen führen und den Sicherheitskräften legale Möglichkeiten geben zu foltern, zu mißhandeln und sogar zu töten, müssen abgeschafft werden.“

Zugleich müsse der Ausnahmezustand aufgehoben werden und ein Bewußtseinswandel der südafrikanischen Polizei erfolgen. „Sie sieht immer noch in den Oppositionellen Todfeinde des Regimes“, erklärte Jacobsen. Wohl nicht ganz zu Unrecht.

diba