EG-Push durch die deutsche Einheit?

Waigel sieht Investitionsschub nach Marktvergrößerung / Müssen die EG-Partner die Einheit finanzieren? / Kommissionsvize Christophersen hätte von der Bundesbank editierte DM-Ost vorgezogen  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Wie es sich in „Europas Hauptstadt der kulinarischen Genüsse“ (Brüssels Eigenwerbung) geziemt, besprachen die Finanzminister der EG am Montag den wichtigsten Punkt auf der Tagesordnung während ihres mittaglichen Gelages: die deutsch-deutsche Wirtschafts- und Währungsunion und deren Folgen für die EG. Bundesfinanzminister Theo Waigel zeigte sich erfreut über die breite Zustimmung, auf die der Plan der Bundesregierung bei seinen Kollegen trifft. Das Modell „Investitionen für Frieden und Freiheit“, so versprach er, werde auch den EG-Partnern zugute kommen. Schließlich werde die Vergrößerung des Marktes einen „Investitionsschub“ nach sich ziehen. Dennoch kursiert in EG-Kreisen die Befürchtung, daß die Bundesregierung ihr Engagement für die DDR zum Anlaß nehmen könnte, ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber der EG zu vernachlässigen. Dazu erklärte Waigel, daß die Bundesregierung bereit sei, den von der EG verabredeten Zeitrahmen einzuhalten. Im Gegenzug müsse die Kommission allerdings Delors Vorstoß in die Tat umsetzen und der Bundesrepublik finanziell beiseite stehen. Steuererhöhungen lehnte Waigel kategorisch ab.

Insgesamt scheint sich in Brüssel der Eindruck breit zu machen, daß das deutsch-deutsche Projekt auch die Währungsintegration der EG beschleunigen könnte. Bereits Sonntag abend hatte der französische Finanzminister Pierre Beregovoy erklärt: „Ich sehe keine Probleme mit dem Plan der Bonner Regierung, möglichst bald die deutsch-deutsche Währungsunion zu schaffen“. Auch der Vizepräsident der Brüsseler Kommission, Henning Christophersen, zeigte sich von dem Vorhaben beeindruckt. Allerdings hätte er für eine Übergangszeit eine von der Bundesbank herausgegebene DM-Ost vorgezogen. Er hielt jedoch seine Vorstellungen angesichts des Tempos der Entwicklung selbst für wenig realistisch. Als Folge des deutsch-deutschen Zusammenwachsens könnte es jedoch zu einem Rückgang der bundesdeutschen Beitragsleistungen für den Gemeinschaftshaushalt kommen. Dies hätte zur Folge, das andere Mitgliedsländer wie Großbritannien und Frankreich tiefer in ihre Tasche greifen müßten, um einen Ausgleich zu schaffen. Als Trostpflaster stellte Christophersen mittelfristig einen Zuwachs des EG -Bruttsozialprodukts um 0,5 Prozent in Aussicht.

Bei seiner Analyse der Auswirkungen der deutsch-deutschen Währungsintegration auf die Gemeinschaft ging er von einem Umstellungskurs (Ostmark auf DM) von 1:1 aus. Weitere Konsequenzen auf Wechselkurse, Inflations- und Zinsraten beispielsweise durch eine Erhöhung der bundesdeutschen Staatsverschuldung sollen diese Woche in der von Binnenmarktkommissar Martin Bangemann geleiteten Arbeitsgruppe der Kommission über die Auswirkungen der deutsch-deutschen Annäherung auf die EG konkretisiert werden.

Für die DDR sieht Christophersen rosige Zeiten: Je nachdem, welchen Fonds sie in Anspruch nehmen werden - können die DDRler mit bis zu vier Milliarden DM Finanzhilfe der EG rechnen. Im offiziellen Teil ihres Treffens diskutierten die Minister über die Finanzhilfen der EG für Mittel- und Osteuropa.