Heut in Bonn im Angebot: Die DDR!

Nach den Moskauer Gesprächen mißt die Bundesregierung dem Modrow-Besuch geringere Bedeutung zu / Bonner Politiker erwägen Übernahmeszenarien / Keine Soforthilfe / Runder Tisch gegen Bonner Destabilisierungskampagne und überhitztes Vereinigungstempo  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der heute beginnende Besuch von DDR-Ministerpräsident Modrow und einer 17köpfigen Delegation in Bonn wird voraussichtlich keine greifbaren Ergebnisse bringen. Im Vorfeld des zweitägigen Arbeitsbesuchs stellten gestern beide Seiten klar, was aus jeweiliger Sicht nicht passieren dürfe: Keine „überstürzten“ Verhandlungen über eine gesamtdeutsche Währungsunion, keine „vorschnelle Preisgabe der Finanzhoheit der DDR“ - dieses Votum gab der Runde Tisch von DDR -Oppositionsgruppen Hans Modrow mit auf den Weg nach Bonn. Keine Soforthilfe für die DDR - so verlautete andererseits aus dem Bonner Kanzleramt und aus der Union. Mit dem Moskauer grünen Licht für die deutsche Einheit im Rücken ist für die Kohl-Regierung die Bedeutung des Modrow-Besuchs anscheinend noch mehr gesunken als bisher. Das sogenannte Bonner „Angebot“ einer Wirtschafts- und Währungsunion, also der schnellen Einführung der DM in der DDR, wurde der Modrow -Regierung bisher noch nicht einmal offiziell übermittelt. Regierungssprecher Schäfer bemerkte dazu gestern lapidar, dies werde „spätestens heute“ geschehen. Dieses „Angebot“ also sowie die Ergebnisse von Kohls Moskaureise sollen Schwerpunkt der Gespräche sein. Ob dabei überhaupt eine gemeinsame Erklärung beider Regierungen zustande kommt, wurde in Bonn gestern als fraglich angesehen. Zeitgleich zu einem Vieraugengespräch von Kanzler Kohl und Ministerpräsident Modrow werden die acht Oppositionsminister der DDR-Delegation heute mit Kanzleramtsminister Seiters zusammenkommen. Bei diesem Treffen sowie beim anschließenden Gespräch in großer Delegationsrunde dürften die Oppositionsvertreter vor allem jene Befürchtungen zur Sprache bringen, die gestern auch die Debatte am Ostberliner Runden Tisch bestimmten: daß nämlich der Prozeß zur deutschen Einheit durch das Vorgehen der Bundesregierung „künstlich überhitzt“ werde, wie es in einem - am Nachmittag noch nicht endgültig abgestimmten - Beschluß heißt; und daß „manche Kräfte in der Bundesrepublik gegenwärtig Kurs auf eine bewußte Verschärfung der Probleme in der DDR nehmen“. Das Bemühen, gegenüber den rasanten Bonner Vereinigungs szenarien dämpfend zu wirken, wurde auch in folgenden Vorschlägen am Runden Tisch deutlich: Minister Wolfgang Ullmann, Vertreter von Demokratie Jetzt, forderte die Einsetzung einer Treuhandstelle, um die Rechte der DDR -Bevölkerung am Gesamtbesitz des Landes urkundlich zu dokumentieren. Andere Oppositionsvertreter wollen die sozialen Belange der DDR-Bürger gegenüber Bonn mit einer Sozialcharta sichern. Die Einführung einer Währungsunion wurde am Runden Tisch zwar grundsätzlich befürwortet, jedoch werde eine überstürzte Einführung der DM beiden deutschen Staaten schaden, hieß es gestern. Der SPD-Vertreter in der DDR-Regierung, Walter Romberg, forderte in der Ost-'Berliner Zeitung‘ im Hinblick auf den Bonn-Besuch „sofort beträchtliche finanzielle Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft„; angesichts der ungleichen Lastenverteilung nach dem Zweiten Weltkrieg habe die DDR darauf „einen gewissen Anspruch“. Die Bundesregie Fortsetzung Seite 2

rung hat hingegen in den vergangenen Wochen immer wieder klargestellt, daß sie auch derart historisch begründete Finanzhilfe ablehnt. Anstatt die DDR kurzfristig wirtschaftlich zu stabilisieren, erwägen immer mehr Bonner Politiker ein direktes Übernahmeszenario für den Anschluß der DDR an die Bundesrepublik. Sowohl Innenminister Schäuble als auch Fianzminister Waigel sprachen sich im Vorfeld des Modrow-Besuchs dafür aus, auf Grundlage von Artikels 23 des Grundgesetzes die DDR direkt der Bundesrepublik anzugliedern, anstatt den längeren Weg einer Verfassungsprozedur mit Volksabstim

mung zu gehen. Der SPD-Politiker Karsten Voigt warnte hingegen gestern, die deutsche Einheit dürfe nicht in der Manier eines „Manchester-Kapitalismus“ vollzogen werden; Voigt befürwortete einen Finanzausgleich zwischen den jetzigen Bundesländern und den künftigen DDR-Länder. An den Gesprächen mit der Modrow-Delegation wird die West-SPD heute durch Johannes Rau, den derzeitigen Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, beteiligt sein. Als zügige finanzielle Hilfe ist von Seiten der Bundesregierung zunächst nur die Auszahlung von DM-Krediten an DDR -Existenzgründer im Gespräch. Dafür müsse allerdings eine Garantie der DDR-Staatsbank über Rückzahlung und Zinszahlung in DM erbracht werden.