„Momentan 84“ oder die Prosa des Lebens

■ Ada Hecht und Berty Corazolla in Bremen, zwei der letzten Berliner Diseusen-KabarettpianistInnen / „Chansons zwischen Gestern und Morgen“

Allein die Anfangsszene: ein Bremer Hotel, ein Lichthof: Ada Hecht, 77, und Berty Corazolla, „momentan 84“, betreten die Szene. Ein Paar mit einem Schuß Fellini und einem Anteil Rosa von Praunheim; bezaubernd, wenn es das Wort noch geben würde, und anständig verrucht wie der Typ Tante, über den in der Familie geschwiegen wird. „Was, sie wollen uns fotografieren?“ amüsiert sich Berty, holt ein Schwarzbrot mit Brie aus dem British Airways-Plastikbeutelchen, hält es verschmitzt vor die Kamera und sagt: „Wie wäre es mit dem Bild 'verhungerte Künstler‘?“ Ada möchte lieber einen Aperitiv statt Kaffee, Cognac ginge auch (sic!), aber es gibt hier keinen, malt sie sich eben die Lippen und überlegt, daß taz wahrscheinlich von Tatze kommt, und Berty sagt: „Kuck mal, Ada, der verknipst den ganzen Film wegen uns“, kichert, „isser selbst in schuld“, Wolfram zuckt kurz bei dem Wort knipst, „selber schuld“ übersetzt Berty, die aus Westfalen - „praktisch aus Essen/Ruhr“ kommt und da sagt man das so. Weil Ada jetzt schon sitzt, kann ich nicht mehr genau sehen, was das für ein Muster auf ihrem grauen Strickensemble ist, aber es muß sich um Noten handeln und mindestens ein Cello - maßstabsgetreu. Seit wann sie zusammen auftreten, muß ich irgendwie mal fragen. Hachje, seit vierfünf Jahren, seit einigen Jahren, seit zehn Jahren, neeiin Ada, doch, zehn Jahre bestimmt. „So alt sind wir doch noch gar nicht“, Berty lacht schallend, Berty liebt gelungene Witze. Naja, sie treten nicht immer zusammen auf, Berty geht

auch mit anderen auf Tournee.

Seit 1945 lebt Berty in Berlin, kam damals vom Klavierspielen von der Front, und dann ist „man da so reingerutscht“ oder „ist da so gefunden worden“, von den Amerikanern zum Beispiel. „Du mußt von deinen Liliputanern erzählen, das ist doch das Interessante“ flüstert Ada laut, damit ich das höre. Aber erstmal hat Berty mit sechs Jahren angefangen, Klavier zu spielen, A-Dur-Sonate von Chopin mit zehn, im klösterlichen Pensionat, „is fast nix von hängengeblieben“, sagt Berty, „über unanständige Witze lacht

sie am meisten“, feixt Ada, „das's immer so bei denen, die aussem Kloster kommen“, Berty wieder, und lacht absolut dreckig und das geht jetzt so ungefähr eine Stunde. Jedenfalls ist Berty dann zum Theater gegangen, als dort gerade ein Solopianist gesucht wird für „Blumen von Hawai“, Operette von Abraham. Und dann lernt sie ihre „Minileute“ kennen, die Liliputaner, 20 kleine Leute, hat sie sich ihre Varieteshow angekuckt und ist mitgegangen „und schon verschwand ich in die Schweiz“, 1933: „So alt bin ich schon“. „Wir zeigen den jungen Leuten, was 'ne Harke ist“, das ist Ada, „da können'se mal sehen wie die Kunst munter hält“, Berty, „das is nur die Arbeit und nicht so'n öder Haushalt“, Berty, „ich sag immer: die Prosa des Lebens bleibt ja nicht aus“, Disziplin“, Ada, „wir sind hart im Nehmen, alte Zirkusgäule“, Ada.

Zuhören, zuhören, zuhören, nichts mehr fragen, einfach hin -und herhören bei diesem Ping

pong. Da gibt es Geschichten, die kann man gar nicht wiedererzählen, die muß man hören, daß einem die Zeit vergeht, z.B. als Berty nach einem Auftritt im „Esplanade“ „internationales Repertoire: ernsthaft, witzig, Humta“ - auf ihrem Akkordeon sitzend von der Bombe verschont wurde, oder als Ada auftreten mußte, obwohl ihr eben verstorbener Ehemann aufgebahrt im Eingang lag.

Irgendwann hat Berty dann „wieder einer gefunden“ und so kam sie zum „Klimperkasten“, einem Berliner Cabaret. Endlich kennengelernt haben sich die beiden auf einer Party bei einem Transvestiten, den Ada für eine veritable Dame hielt, weil sie „sowas gar nicht kannte“, und da saß Berty mit ihrem Paulchen, dem letzten der Liliputaner, „da?“ - „doch da! “. Das war, bevor Ada beim Zirkus war. Beim Zirkus? Ja klar, obwohl sie nicht reiten konnte oder am Trapez hängen, aber Chansons singen, ja, das war nach dem Nachtlokal, sie wollte eben nochmal was Verrücktes machen, bevor sie in die Grube springt. Zirkus Aladin in der Schweiz. Die „Leute ham reineweg Kopf gestanden“, obwohl sie doch nun nicht mehr hoch, sondern total tief sang: „So oder so ist das Leben“.

Eigentlich hat Ada Oper studiert, „davon hören Sie heute

nischt mehr“. Sie mußte auch auf „Wehrmachtstournee“, mit Carmen z.B., aber nicht mit Lili Marleen, weil sie ja hoch gesungen hat, tief Singende hat sie damals nicht mal angekuckt. Danach war sie jahrelang bei Valeska Gert in ihrem Kabarett „Ziegenstall“, der Skandalnudel, die erste avantgardistische Tänzerin, „völlig ausgeflippt“, die hat getanzt „Der Reiter und das Pferd“, also beides zusammen. Trotz entgegengesetzter Gerüchte gabs da nichts Anstößiges. Immer kam aber alles von allein auf sie zu, Klinkengeputzt hat sie nie. Geboren ist sie in der Tschechoslowakei, daher also ihr leicht angerauhter Akzent, auch mit sechs, wie Berty, Klavier gelernt, als „Bömmen noch Österrreich woar“, auch im Kloster, vielleicht daher ihr biblisches Alter. Wegen „musikalischem Winkel“ haben dort alle gesungen, aber wegen Armut kam sie kurzerhand aufs Schloß als Kinderstub'nmädchen für die Comtesse, zur Gräfin Bellegard, hat also Höschen genäht und verschnitten, kam auch zu einem Millionär, den sie leichtsinnigerweise nicht geheiratet hat, kam bis nach Berlin, immer noch als Kindermädchen, wo die böhmische Köchin sie fragte „Worum immärr sin-g-st du?“ Da hat Ada an zu singen gefangen. Claudia Kohlhas

Heute, Fr/Sa im Theater im Schnoor, 20.30 Uhr