Ein Gespenst starb

■ Wie die Teach-ins über den historischen Erdrutsch 1989 an der Bremer Universität begannen

Die Sozialismen in Osteuropa haben aufgehört, real zu existieren, von der (neuen) Linken in Westeuropa besteht der gleiche Eindruck. Die Bremer Universität, Hort der 68er, nimmt ihre Aufgabe war, organisiert Öffentlichkeit über „die Veränderungen in Osteuropa und der DDR“, sechs zweistündige Foren. Teach-in heißt die Reihe, und anstelle der diskussionsverhindernden fensterlosen Unglücke, in denen man sich bis jetzt oft versammeln mußte, gibt es auf einmal ein richtiges Audimax, ohne das nun mal

kein Teach-in denkbar ist. Auch, wenn es ein Aluminiumsaal ist, der durch seine rückenmarkshalbierenden Sitzmöbel berühmt geworden ist. Die kontinentverändernden Umbrüche als Teach-in der Bremer Reformuni - bei dem Eröffnungspodium „Ende des kalten Krieges - Endlich Frieden in Europa“ interessiert das ganze 65 Leute. Die Professoren auf dem Podium reden in einer Art Nirvana. Einzige Publikumsreaktionen: Aufbrüche zu jedem beliebigen Zeitpunkt jedes beliebigen Redners.

Michaly Vajdy, Philosoph aus Budapest begrüßt den „Sieg des Antikommunismus“ im östlichen Mitteleuropa, „ja, warum denn nicht“. Die von der Sowjetunion installierten Systeme sind für ihn Oktrois einer Gesellschaft, die - im Unterschied v.a. der Teile des alten Habsburgerreiches - nie demokratiefähig gewesen wäre. Im Unterschied zu den kapitalistischen Demokratien sind sie nicht von innen gewachsen und von den europäischen Gesellschaften auch nie akzeptiert worden. Ihr Ende gibt endlich Möglichkeit,

„den Europagedanken zu verwirklichen.“

Die einzige auf dem Podium, die die die Linke auf dem Rückzug vertritt, ist die Bremer Hochschullehrerin Michaela von Freyhold: Die Sowjetisierung Osteuropas sei auch eine Reaktion auf Aktionen des Westens gewesen, und nach dem Ende des kalten Krieges werde nicht die Linke von einer Identitätskrise heimgesucht, sondern die kalten Krieger. „Sie haben es nur noch nicht gemerkt.“

Dezidierte Gegenrede vom Bremer Friedensforschers Dieter Senghaas: Der kalte Krieg entstand nicht durch antikommunistische Ideologie sondern durch Zur-Wehr-Setzen gegen von Stalin geschaffene Realitäten wie die Zwangsvereinigung zur SED. Das Ende des Ost-West-Konfliktes im Herbst 1989, bei dem sich die eine politische Ordnung als „Sackgasse“ und die andere als „entwicklungsfähig“ erwiesen habe, stelle einen „wirklich revolutionären Umbruch“ dar. Ein stabiler Frieden, beschleunigte Truppenreduzierungen und erstmalig ein kollektives Sicherheitssystem zeichneten sich als Möglichkeiten ab.

Die unterschiedlichen Positionen machten auf dem Podium, an dem noch Zoltan Szankay und als Moderator Helmut Wiesenthal teilnahmen, sowenig eine Diskussion möglich wie im Publikum. An dessen Stelle raste einsam die übliche MG-Vertreterin. Deren Analyse von Vajdas Beschreibung der Wende in Ungarn: beschissen.“ Universitäre Öffentlichkeit Bremen 1990. Das war's gewesen.

Uta Stolle