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KASSIBER AUS DEM LEBEN

■ Paul Garrin zu Gast in der Medienoperative

Unter den Augen von drei Wachpolizisten und zwei Video -Observierungskameras die Tasche öffnen, durch den Metalldetektor gehen - Piiiiep - (bei mir piept es immer!), also noch Jacken- und Hosentaschen ausleeren - das übliche Eingangsritual im Amerika-Haus bringt in die richtige Stimmung für Paul Garrins Videoinstallation Yuppie Ghetto with Watchdog: Ein dunkler Raum, geteilt durch eine mit Parolen besprühte Mauer und Stacheldraht, an dem vergitterten Tor geifert ein Schäferhund vom Monitor. Dahinter zeigt eine mehrschichtige Projektion sekttrinkende Yuppies beim Smalltalk vor einer Straßenschlachtszenerie zwischen Polizei und Demonstranten.

Garrin, Videokünstler aus New York und diesjähriger „Artist in Residence“ der Medienoperative, hat das Überwachungsarsenal im Amerika-Haus um den elektronisch gesteuerten Schäferhund erweitert: Steht man ruhig in der Ecke, kaut der auf seinem Knochen, je mehr man sich dem Tor und der Party-Szene nähert, um so wütender reagiert das Vieh.

Paul Garrin ist in Camden, New Yersey, direkt hinter den großen wie die Suppendosen bemalten Tanks der Campell's Soup Company aufgewachsen. In New York studierte er auf der Kunstschule bei Hans Haacke die Visualisierung realzeitlicher Systeme und entdeckt Video als Ausdrucksmittel. 1981 wird er Nam June Paik vorgestellt, der ihn als Techniker engagiert. Eine symbiotische Beziehung, denn Computer Kid Garrin kann sich in die ständig erweiterten Möglichkeiten der Videotechnologie einfuchsen, und Paik profitiert: „Alle sagen, daß Paul mich kopiert. Dabei bin ich es, der ihn kopiert.“

Seit 1985, inzwischen ist Garrin technischer Leiter für Paiks Projekte, verwirklicht er eigenständige Arbeiten. Die frühe Warholsche Suppendoseninfiltration wirkt sich aus: wenige Minuten kurze Tapes, die sich die Mittel der Musik -Clips zu eigen machen und digitale Verfremdungen, die aber alles andere als esoterische, selbstverliebte Spielereien mit Technologien sind. A Human Tube von 1986 ist eine von mehreren Zusammenarbeiten mit dem japanischen Rockstar und Performer Ryuichi Sakamoto, eine Studie über Bewegung und Geschwindigkeit, bestehend aus verfremdeten Aufnahmen von Sakamoto, einem Trümmerfeld und dem brennenden Beirut. Mit Free Society (1988) wird seine Arbeit (in London und auf der 3. Videonale in Bonn) zum ersten Mal einem europäischen Publikum vorgestellt.

Free Society ist eine elektronische Collage um Kriegsverherrlichung und Polizeibrutalität. Verfremdete Szenen von Straßenkämpfen und Militärparaden laufen in einem Balken über den Augen des amerikanischen Fernsehpredigers Pat Robertson. Ein Zitat des TV-Scheinheiligen („Polizei und Militär sind die besonderen Gesandten Gottes“) hat Elliot Sharp für den Soundtrack mit Video-Rückspulgeräuschen und peitschender, aggressiver Perkussion gesampelt.

Garrins jüngste Arbeit ist unfertig, solange der Häuserkampf in seinem Stadtteil weitergeht. Als Work in Progress ist der erste Teil einer Garrinschen Dokumentation über Bodenspekulation, Hausbesetzungen und Bevölkerungsumstrukturierung in der New Yorker Lower East Side in der Medienoperative zu sehen. Nach Malcolm X hat er die Arbeit By Any Means Necessary genannt, über die nächste Straßenschlacht wird er per Telefon-Hotline informiert, ansonsten ist er immer mit dem für ihn notwendigen Mittel ausgerüstet: einer Video-8-Kamera.

blick

Installation „Yuppie-Ghetto“ im Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22-24, Videos von Paul Garrin am 17.2. um 14.30 Uhr; in der Medienoperative (Potsdamer Straße 96) am 14.2. und 18.2. jeweils um 23 Uhr; in der Akademie der Künste der DDR, Herrmann-Matern-Straße 58 (Übergang Invalidenstraße) am 16.2. um 20 Uhr.

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