Dem Vater ein Ende machen

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(Das literarische Quartett, ZDF, 22.10 Uhr) „Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende. Vereint wagen sie, was dem einzelnen unmöglich geblieben wäre. Der gewalttätige Urvater war gewiß das beneidete und gefürchtete Vorbild eines jeden aus der Brüderschar gewesen. Nun setzten sie im Akte des Verzehrens die Identifizierung mit ihm durch, eigneten sich jeder ein Stück seiner Stärke an.“ Dies war der Beginn der Zivilisation. Hat die Rezensentin diesen Abschnitt der Freudschen Theorie (Totem und Tabu) zuvor für konstruiert, sogar abstrus gehalten, ist sie nach der gestrigen Abendmahlzeit, vor dem Fernseher als Opferzeremonie an die gesellschaftlich etablierten Formen der Reproduktion vollzogen, zutiefst von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugt. Gleichsam absichtslos im Rahmen eines Gesprächs dargeboten, erwiesen sich zunächst die Grundannahmen dieser Freudschen Hypothese als unzweifelhaft, also die Bedingungen der blutigen Tat: Freud nahm nämlich an, daß die Brüderschar „von denselben einander widersprechenden Gefühlen gegen den Vater beherrscht war“, die man allgemein in der „Ambivalenz des Vaterkomplexes“ bei Kindern wie Neurotikern wahrnehmen könne. Diese Ambivalenz also das gleichzeitige Vorhandensein starker, einander widersprechender Gefühle im Seelenleben - ist bei der Kinderschar unzweifelhaft vorhanden. Waren jedoch früher vor allem die zärtlichen Regungen sichtbar - das Werben um Anerkennung, gar Liebe („Marcel“, hauchte Herr K., „Marcel...“), so sind jetzt vor allem feindselige, abwehrende Gefühle Ausdruck derselben Ambivalenz, mit unterschiedlicher Stärke und Überzeugungskraft vorgetragen. Bleibt Herr K. bei seiner Neigung, diese Ambivalenz durch permanentes Abwägen („einerseits, andererseits“) offenzulegen und die eigene Schwäche durch Identifizierung mit dem jeweils Stärkeren zu kompensieren („da gebe ich Ihnen recht, Frau L.“), so hat Frau L. (in die Rolle des rivalisierenden Ältesten geschlüpft und in einem Freudschen Versprecher vom Vater ohnehin ihrer Weiblichkeit beraubt) sich nun gänzlich auf das Feld der zuweilen lauernden, gegebenenfalls offenen Provokation und Rebellion begeben („es erstaunt mich, daß Ihre literarische Welt so einfältig ist“), während der Vater selbst so alt geworden ist, daß er seine Kinder ausreden läßt. (Der Gast Jurek Becker aber, nicht im Spiel der Triebe befangen, sprach Vernünftiges. Ansonsten wurde Substanzielles nur nachgesprochen, Monika Maron und Stefan Heym zitiert.) Wir harren also der vollendeten Bestätigung von Freuds Theorie, der Tötung des Opfers.

Elke Schmitter