„Diesmal komme ich nicht raus“

■ Salman Rushdie ist vor einem Jahr untergetaucht / Zu seiner merkwürdigen Lebenssituation hat der Autor schon manches in seinem Werk antizipiert

„Satan zu einem vagabundierenden, ratlosen, unsteten Dasein verurteilt, kennt keine feste Bleibe...“ In unheimlich weiser Voraussicht schickte der seit genau einem Jahr zur Unsichtbarkeit verbannte Autor seinen „Satanischen“ jenen Vers Daniel Defoes voraus: „Es war Valentins Tag, dessen Bedeutung sich für mich, wie ich fürchte etwas verändert hat. Wahrscheinlich war es der seltsamste Valentinsgruß, den man erhalten konnte. Ich saß zu Hause in meinem Arbeitszimmer, als mich mitten am Morgen eine BBC -Journalistin anrief und mich fragte: „Wie fühlt man sich, wenn einen Ayatollah Chomeini zum Tode verurteilt?“ „Es war das erste, was ich hörte“, sagte Salman Rushdie jüngst in einem 'Newsweek'-Interview. „Dann eilte ich die Treppen zu Mariannne hinunter, um ihr davon zu erzählen, und es war buchstäblich unsere erste Reaktion, die Vorhänge und die Türe zu schließen.

An diesem Tag hatte ich einen lange schon feststehenden Fernsehtermin in der CBS Morgenschau - live -, und man holte mich mit einem Wagen ab... Das einzig gute daran war, daß ich nicht zu Hause war, als die Weltpresse einfuhr. Zehn Minuten nach meiner Abfahrt parkten etwa 75 Fernsehteams vor meinem Haus, um all die außerordentlichen Dinge zu, die TV -Teams nun einmal anstellen. Sie schossen sich auf die Nummer an dem Haus ein, damit auch jeder die Adresse hatte... Nie zuvor in meinem Leben bin ich so aus dem Gleichgewicht geraten wie in den ersten Tagen. Anfangs dachte jeder, daß es nur ein paar Wochen dauern würde. Wie sollte soetwas lange anhalten? ...“

So manches Detail seiner gegenwärtigen Lebenssituation antiziperte der exilierte Schriftsteller bereit in seinem Roman Scham und Schande. Sein „schwindeliger Held Omar Chajjam Shakil“, benannt nach dem im elften Jahrhundert in Persien dichtenden und spottenden Trunkenbold, der als Ketzer in die persische Literaturgeschichte eingig, sollte immerhin dreizehn Jahre in der entropischen Schwüle eines von der Außenwelt abgeschnittenen Pardah-Haushalts zubringen. Ein Sozialisationsklima, dem nicht wenige Moslems und ihrer Jugend ausgesetzt sind und das so manche frauenfeindliche Attitüde hervorbringt. Insofern mutet die Strafe des Dichters wie ein zweiter von Chomeni verordneter Enkulturationsversuch an. „Eine ungewöhnliche Zeit haben wir vor dem Fernseher verbracht und warteten auf jede neue Entwicklung; wir wurden TV-abhängige. Es gab einen Moment, da ich mir ziehmlich bewußt abgewöhnen mußte, nicht vor dem Bildschirm anzuwachsen, um herauszufinden, was als nächstes geschehen wird. Nach drei bis vier Wochen, dachte ich mir, daß ich nicht den Rest meines Lebens damit zubringen werde, Leute anzusehen, die mich im Fernsehen beleidigen.“

Auch dem sternenguckenden Chajjam, dem es aufgrund seiner sehr besonderen Zeugungsgeschichte verboten war, Scham zu empfinden, war alllein der Blick durch Teleskop auf die Außenwelt vorbehalten. „Ich kann mich nicht daran erinnern, wer sagte, daß Autoren bei Tage ein Kloster und bei Nacht ein Freudenhaus bräuchten. Es war entweder Faulkner oder Marqez der Faulkner vorgeblich zitierte. Jedenfalls ist ein Romanschriftsteller durchaus daran gewöhnt, lange Perioden mit sich allein zu sein. In diesem Sinne habe ich Glück gehabt, zu eben jener Sorte Schriftsteller zu gehören... Die einzige Schwierigkeit besteht darin, daß ich diesmal wirklich nicht herauskomme.“