Greifswald vom Netz? Kein Problem.

■ Experten aus West-Berlin und der DDR sind sich einig, daß die bei einer Stillegung des maroden AKW Greifswald ausfallende Energieleistungen ohne weiteres ersetzt werden könnten

Berlin (taz) - Die Greifswalder müssen auch dann nicht im Dunkeln frieren, wenn alle vier Blöcke des AKWs vor ihrer Haustür abgeschaltet werden. Das ist das Ergebnis eines von der BI „Perspektive Berlin“ am Montag abend in der Westberliner Passionskirche veranstalteten Podiumsgesprächs.

Die Berliner Umweltsenatorin Michaele Schreyer nannte bei der Veranstaltung vor allem zwei Möglichkeiten, die mit der AKW-Stillegung entstehende Stromlücke in der DDR aufzufüllen. Zum einen könnten aus dem bereits zwischen dem Kohlekraftwerk Offleben bei Helmstedt und dem DDR-Kraftwerk Wolmirstedt eingerichteten Stromverbund mehr als die gegenwärtig ausgekoppelten 350 Megawatt geliefert werden. Zum anderen sieht Frau Schreyer bei dem Westberliner Energieversorger Bewag Spielräume für höhere Stromlieferungen in die DDR, als bisher vertraglich vereinbart. Dazu regte die Umweltsenatorin an, auf alte, seit Jahrzehnten gekappte Verbundleitungen zwischen Berlin und dem Umland zurückzugreifen. Dies erörtere gegenwärtig eine Expertengruppe des Ost-West-Regionalausschusses für den Großraum Berlin.

Im Hinblick auf die mit der Braunkohlenutzung verbundenen Klimaänderungen und den Treibhauseffekt, erklärte Frau Schreyer, es gehe um die Abwägung verschiedener Risiken. Im Fall eines GAUs in Greifswald oder im AKW Rheinsberg gebe es jedenfalls keine Möglichkeit mehr, über die sofortige Stillegung von AKWs zu reden.

Der Berliner Energieexperte Christian Lange vom Ingenieurbüro „Energieplan“ erläuterte bei derselben Veranstaltung Strategien, die Stadt Greifswald und ihre Umgebung bereits in der nächsten Heizperiode mit Strom und Wärme abzusichern, falls die Atomzentrale abgeschaltet wird. Dazu müßte eine Heizleistung von etwa 220 Megawatt bereitgestellt werden, die gegenwärtig aus den vier AKW -Blöcken ausgekoppelt wird und 14.000 Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen und Betriebe mit Fernwärme versorgt. Gegenüber der taz nannte es Lange eine „absolute Nachlässigkeit“, daß bis heute für den Fall eines Störfalls in allen vier Reaktoren keinerlei Ersatz bereitgestellt worden sei. Lange glaubt dennoch, daß es möglich ist, bis zum Herbst den Greifswaldern warme Wohnungen auf neuer Grundlage zu garantieren. Seine Idee basiert auf im Westen produzierten mobilen Heizcontainern, die Heizenergie in einer Größenordnung von jeweils 20 MW bereitstellen sollen. Zu prüfen sei, inwieweit die Heizcontainer nur übergangsweise in die lokale Versorgung eingebunden werden könnten, um später von einem neuen Blockheizkraftwerk abgelöst zu werden.

Bärbel Petersen