Das Wahlbündnis 90 ist unter Dach und Fach

Der Landessprecherrat des Neuen Forums segnete gestern das Bündnis der Bürgerbewegung ab / Mehrere Bezirksverbände hatten es bis zuletzt in Frage gestellt / Die Vertreter von Demokratie Jetzt und der „Initiative“ leisteten Überzeugungsarbeit  ■  Aus Ost-Berlin Matthias Geis

„Nun muß die Ehe halten“ kommentierte Wolfgang Templin gestern mittag das positive Votum des Neuen Forums zum Wahlbündnis mit den Bürgerbewegung Demokratie Jetzt und der Initiative Frieden und Menschenrechte. Erleichtert waren vor allem die beiden kleineren Gruppierungen, darüber, daß das zentrale Entscheidungsgremium des Neuen Forums nicht doch noch den Befürchtungen der Bezirksverbände Dresden, Frankfurt und Rostock nachgab. Die Basis dieser Bezirke hatte ihre Sprecher mit dem Auftrag nach Berlin geschickt, das „Bündnis 90“ aufzukündigen. Begründet wurde die Forderung zum einen damit, daß die beiden kleineren Partner in den Regionen eine sehr viel geringere Rolle als das Forum spielen. Zum anderen stand der Zusammenschluß von Anfang an unter Linksverdacht. Wolfgang Templin von der Initiative, Konrad Weiß und Stefan Bickhart von Demokratie Jetzt konnten jedoch auf der entscheidenden Sitzung des Landessprecherrates die Irritationen der vergangenen Tage so weit ausräumen, daß der Beschluß am Ende eindeutig ausfiel. Es gehe hier nicht um die Frage „linkes“ oder „rechtes“ Bündnis, begründete Wolfgang Templin. Die politische Konfliktlinie verlaufe vielmehr zwischen Parteien unabhängig von ihrem politischen Standort - und den Bürgerbewegungen als genuinem Motor der Demokratisierung des Landes. Die eigentliche Bedeutung des Bündnisses liege in seinem gemeinsamen Anspruch, die Rechte und Interessen der BürgerInnen gegen die Herrschaftsansprüche der Parteien durchzusetzen. Auch Heiko Lietz, Vertreter des Neuen Forums am Runden Tisch, vertrat diese Intention des Bündnisses: Es gelte, die begonnene „Demokratisierung von unten“ auch nach den Wahlen zu vertreten. Es gehe heute nicht mehr darum, vergangene ideologische Kämpfe wiederaufleben zu lassen, sondern den „neuen Ansatz“ breiter Bürgerbewegungen zu verteidigen.

Dem engagierten Votum wollten sich letztlich auch die schwankenden Bezirksvertreter nicht entziehen. Ihre Zweifel hatten sich vor allem daran entzündet, daß die Medien immer wieder von einem „linken Bündnis“ berichtet hatten. Die Tatsache, daß Bärbel Bohley in der vergangenen Woche das Zusammengehen der Bürgerbewegungen für das Neue Forum im Fernsehen vorgestellt und begründet hatte, stützte in den Regionen diese Einschätzung. Sie gilt mittlerweile in den Regionen als Symbolfigur der linken Minderheit. Wie tief die Vorbehalte gegen ihre Person mittlerweile gehen, zeigte sich auch gestern: Von mehreren Bezirkssprechern wurde ein Mißtrauensantrag gegen Bohley gestellt. In einigen Regionen will man der Initiatorin der Bürgerbewegung schlicht das Recht absprechen, zukünftig für das Neue Forum zu sprechen.

Eigentlicher Hintergrund der Ablehnung des Bündnisses in den Bezirken ist der nach wie vor schwelende Konflikt zwischen der „linken“ Minderheitsfraktion im Neuen Forum und einer Mehrheit, die auf schnelle Wiedervereinigung und klare marktwirtschaftliche Prinzipien der zukünftigen Wirtschaftspolitik setzt. Ob mit dem gestrigen Votum auch die Vorbehalte gegen den Zusammenschluß hinfällig sind, bleibt zweifelhaft. Heiko Lietz sah für die kommenden Tage noch einmal einen „Erosionsprozeß“ in den ablehnenden Bezirksveränden voraus. Vor allem die südlichen Bezirke klagen über stetigen Mitgliederschwund. Die Position des Forums in der „nationalen Frage“ gilt als zu uneindeutig.

Ob das Wahlprogramm des Bündnisses diesen Trend stoppen kann, ist zweifelhaft. Der Abschnitt „Die Deutschen in Europa“ wird von Bedenken eingeleitet: Die Öffnung der Mauer habe das soziale Gleichgewicht der DDR und das politische in Europa in Gefahr gebracht. Der soziale Aspekt eines künftigen Einheitsstaates wird deutlicher herausgestellt als die Einheit selbst. Gefordert wird die „Einheit in Gleichberechtigung“, die zumindest dem Mainstream an der Basis, der auf eine schnelle Angliederung zustrebt, widerspricht. Großes Gewicht legt das Programm auf den „Nationalen Beitrag zur europäischen Friedensordnung“ ebenfalls ein Punkt, der in den Diskussionen vor Ort eine eher untergeordnete Rolle spielt. Gefordert werden die Entmilitarisierung der beiden deutschen Staaten. Ein deutscher Sonderweg, „der in die Nato führt“, wird abgelehnt.