727 Milliarden DM für die DDR?

■ „Bremer Initiative“ fordert Ausgleich für DDR-Reparationszahlungen an die Sowjetunion

Unter all den Terminen, die DDR-Ministerpräsident Modrow heute absolviert, ist ein ganz besonderer: das einstündige Treffen mit dem Bremer Historiker Arno Peters. Der 74jährige Wissenschaftler hat ausgerechnet, daß die Bundes- der Deutschen Demokratischen Republik 72 Milliarden DM schuldet, weil die DDR nach dem Krieg den Löwenanteil der Reparationen für das vormalige Großdeutschland zu zahlen hatte - und das noch ohne Inflationsausgleich und Zins seit 1953. Würde dies noch mitberücksichtigt, verzehnfachte sich die Gesamtsumme auf satte 727 Milliarden DM. Kurz nach der Maueröffnung präsentierte Peters diese Abrechnung der Öffentlichkeit; zur „Bremer Initiative“ wurde sie, nachdem zur Jahreswende sechs weitere Professoren und fünf Mitglieder des Bremer Senats das Papier unterschrieben hatten.

Peters macht folgende Rechnung auf: Weil Deutschland in seiner Gesamtheit den Krieg verloren hat, muß es auch insgesamt für die Reparationen der Siegermächte aufkommen daran kann auch die Zweistaatlichkeit nichts ändern. Die interalliierte Reparationsagentur (IARA) bezifferte die Reparationen, die aus den drei Westzonen geleistet wurden, mit 517 Millionen Dollar zum Kurs von 1938. Dies entspräche einer Summe von 2,16 Milliarden DM zum Kurs von 1953. Die Leistungen der früheren Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, bezifferte das Innerdeutsche Ministerium im Jahr 1985 mit 66,4 Milliarden Reichsmark von 1944, denen 99,14 Milliarden DM von 1953 entsprächen.

Macht eine Summe von 101,23 Milliarden DM aus allen vier Zonen, oder für jeden der 67,8 Millionen Deutschen des Jahres 1953 eine Reparation von 1.494,86 DM. Die BRD hätte, an ihrer 53er Einwohnerzahl von 49,8 Millionen gemessen, 74,4 Milliarden DM zahlen müssen, hat aber nur knapp über zwei Milliarden aufgebracht. Bleibt eine Differenz von genau 72.228.375.856 DM, die der DDR seit dem 31. Dezember 1953 geschuldet sind. An jenem Tag wurden die Reparationsentnahmen abgeschlossen.

Weiter geht's: Den 72,2 Milliarden Mark des Jahres 1953 entspricht nach den Berechnungen der Deutschen Bundesbank ein Betrag von 211,4 Milliarden DM im Jahre 1989, den Lebenshaltungsindex zugrunde gelegt, oder 482,3 Milliarden DM nach dem Baukosten-Index. Wie könnte die Reparationsschuld der BRD gegenüber der DDR nun verzinst werden? Als Grundlage nimmt er die 6,625 Prozent, die die DDR für den Fünf-Milliarden-Kredit der Jahre 1983 bis 1988 zahlen mußte, verzichtet auf den Inflationsausgleich und kommt allein durch die Verzinsung auf den Betrag von 727.165.791.041 DM zum Jahresende 1989.

„Die tatsächlichen Schäden aber, die der DDR dadurch entstanden sind, daß die BRD ihr die seit dem 31.12.1953 geschuldete Reparations-Ausgleichs-Zahlung bis heute vorenthalten hat, betragen ein Mehrfaches der nominellen Schuld der Bundesrepublik“, heißt es weiter. Die BRD habe ihre Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg auf Kosten der DDR-Wirtschaft entwickelt. Nun aber bestehe „die Möglichkeit, ihren Willen zur Abtragung dieser historischen Schuld gegenüber der Bevölkerung dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß sie der Reparations-Ausgleichs-Zahlung von 727,1 Milliarden DM von sich aus einen angemessenen Betrag zur Kompensation der Geldentwertung hinzufügt.“ Das Papier schließt mit der Forderung an die Bundesregierung, umgehend eine deutsch-deutsche Wirtschaftskommission zu gründen, die über die Modalitäten der Umsetzung dieser Ausgleichszahlungen berät.

Unterschrieben ist das Papier außer von Peters von den Wirtschaftswissenschaftlern Karl Wohlmuth, Axel Sell, Gerhard Leithäuser und Rudolf Hickel, den Rechtswissenschaftlern Gerhard Stuby und Wolfgang Däubler, dem bremischen Häfensenator Konrad Kunick, dem soeben verabschiedeten Bildungssenator Horst-Werner Franke und seinem Amtsnachfolger Bürgermeister Henning Scherf, von der Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte und ihrer Kollegin Sabine Uhl vom Sozialressort (alle SPD).

Würde die Bundesregierung diese Rechnung anerkennen, wäre die Übersiedlerei wohl schlagartig gestoppt, und nicht nur das - für viele gäbe es Gründe genug für eine Einwanderung in das Wirtschaftswunderland DDR. Dort beliefe sich die Ausgleichszahlung auf rund 41.800 DM pro Kopf, während je BRD-EinwohnerIn 11.800 DM abgedrückt werden müßte. Insbesondere verblüfft die Summe von 727 Milliarden DM: Sie deckt sich recht genau mit den 500 bis 900 Milliarden DM, die von verschiedenen Fachblättern und Forschungsinstituten in den letzten Wochen als Kosten für die Sanierung der DDR nach westdeutschem Vorbild genannt worden waren.

diba