Modrow wahrt sein bißchen Würde

■ DDR-Ministerpräsident Modrow wird ohne konkreten Ergebnisse von seinem Bonn-Besuch nach Hause fahren

Nur ein kleiner roter Teppich für DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, als er gestern zu seinem ersten und aller Wahrscheinlichkeit nach letzten Staatsbesuch in Bonn eintraf. Der Besuch schien der Bonner Politprominenz relativ gleichgültig. Schon vor den Gesprächen mit Kanzler Kohl und den Wirtschaftsbossen stand fest, daß sich die Bundesregierung auf Modrows Forderung nach einem bedingungslosen „Solidarbeitrag“ über 15 Milliarden harter D -Mark zur Sanierung der DDR-Wirtschaft ohnehin nicht einlassen wird.

Wäre gestern morgen um zehn Uhr ein unbedarfter Spaziergänger am Bundeskanzleramt in Bonn vorbeigegangen, hätte er sich wahrscheinlich etwas gewundert: Ein Pulk von Fotografen und Kameraleuten lauerte gespannt vor der Einfahrt. Dabei standen dort zuerst lediglich ein paar Polizisten herum, die auf etwas zu warten schienen. Flaggen waren nur wenige gehißt. Ein ganz kurzer roter Teppich lag vor dem Gebäude. Und kurz nach zehn Uhr raste eine Kolonne schwarzer Limousinen durch die Einfahrt, als seien die Insassen der schweren Wagen für Zuschauer, Presse und Fernsehen völlig uninteressant.

Darauf, daß er den Auftakt eines Staatsbesuches beobachtet, wäre der Spaziergänger wahrscheinlich nicht gekommen. Und noch weniger wäre ihm eingefallen, daß es sich bei dem Besucher um DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow handelt der gekommen war, um mit Bundeskanzler und Bundespräsident, Ministern, Wirtschaftsbossen und Oppositionsführern über nichts Geringeres als die wirtschaftliche und politische Übernahme seines Landes durch die Bundesrepublik zu sprechen.

Hans Modrow in Bonn: Die Darbietung dieses Ereignisses ist offenkundig Programm. Bislang hat Bonn es nicht für nötig erachtet, Ost-Berlin eine Wirtschafts- und Währungsunion „anzubieten“ - warum also jetzt Modrow mit großem Pomp präsentieren? Über die günstigste Form der Wiedervereinigung haben die Politiker hierzulande ungehemmt öffentlich nachgedacht - weshalb sollten sie nun Modrow um seine Meinung fragen? Daß sie auf die DDR-Forderung nach milliardenhohen Soforthilfen nicht eingehen wird, hat die Bundesregierung schon vor einigen Tagen signalisiert. Wozu also jetzt noch weiter verhandeln?

Daß Helmut Kohl und seinen Mannen der Besuch des Ministerpräsidenten recht gleichgültig war, daß sie es nicht einmal der Mühe für Wert befanden, ihm eine gewichtige symbolische Bedeutung zu verleihen - diesen Eindruck erweckte auch die zurückhaltende Begrüßung Modrows. Im Gebäude des Bundeskanzleramtes drückte ein unbeschwerter Helmut Kohl dem angespannt lächelnden Hans Modrow die Hand, schob ihn ein paar Mal vor den Kameras hin und her, führte ihn mit gönnerhafter Miene zum Gespräch unter vier Augen.

Im völligem Mißverhältnis zu Inhalt und Präsentation der Show blieb das Interesse der JournalistInnen. Schon lange vor der angesetzten gemeinsamen Pressekonferenz von Modrow und Kohl drängten sich im vorgesehenen Saal samt Vorraum hunderte von Pressevertretern. „Das ist ja wie im Krieg“, stöhnte eine Mitarbeiterin des Bundespresseamtes. „Macht das Tor auf“, wurde immer wieder gerufen. Fast wären die mitgereisten DDR-Minister nicht in den Saal, an ihre Plätze gelangt.

Allerdings: Wer konkrete Ergebnisse erwartet hatte, wurde für seinen Kampf um mindestens einen Stehplatz in der hintersten Ecke nicht belohnt: Die vom Runden Tisch geforderte Soforthilfe in Höhe von 15 Milliarden Mark wird nicht geleistet. Einzelheiten über die Modalitäten einer Wirtschafts- und Währungsreform gab es nicht, desgleichen wartete man vergebens auf Vorstellungen der Bundesregierung darüber, wie die sozialen Folgen dieser Übernahme bewältigt werden könnten.

Auf seine Kosten kam, wer miterleben wollte, wie ein Staat und seine Vertreter ihre verbleibende Würde wahren - auch und gerade wenn ein Helmut Kohl mit gewichtiger Miene gerade ihre Einverleibung angekündigt hat. Neben dem schmalen, blassen Hans Modrow thronend, hatte der Kanzler von allem gesprochen - nur nicht von der DDR. Die wirtschaftliche und politische Übernahme - eine Selbstverständlichkeit, die es kaum verdiente, gerechtfertigt zu werden. Modrow hatte fast während der ganzen Redezeit des Kanzlers auf den Tisch geblickt, hatte nur ein paar Mal aufgeschaut, als Kohl ungehemmt seine Forderungen an der Neuorganisation der DDR stellte.

Erst als er mit seinem Statement an der Reihe war, setzte sich Modrow kerzengerade hin, hob den Kopf ganz hoch, und sprach mit klarer lauter Stimme, von den geistigen Werten, die DDR in ein vereinigtes Deutschland einbringen werde, etwas von den auch hierzulande bekannten Schriftstellern Stefan Heym, Christoph Hein und Christa Wolf. Er lobte die fleißigen Arbeiter und Bauern seines Landes, „die materielle Werte einbringen, derer wir uns nicht zu schämen brauchen“. Über die Destabilisierungskampagne bundesdeutscher Politiker urteilte er fast ohne diplomatische Vorsicht: ob man den Preis der Wiederverenigung nicht zu sehr zu Lasten des Volkes drücken wolle.

Gegen Kohl, Waigel, Haussmann gestern, gegen die Spitzen der Deutschen Wirtschaft heute - Modrow und seine mitgereisten Minister stehen mit ihrem Bemühen um eine vorsichtige, eine faire, Entwicklung der deutsch-deutschen Dinge alleine. Auch wenn die bundesdeutschen Sozialdemokraten sich alle Mühe geben, den Eindruck zu erwecken, sie lehnten eine nahtlose Übernahme ab - von ihrer Seite, dies zeigte sich gestern, wird Modrow bei seinem Besuch keine Unterstützung erhalten. „Verständnis für den Unmut des Runden Tisches“ bekundete etwa gestern der Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel - in der Sache jedoch sei er für die Währungsunion.

Am Montag gar hatte Vogel Helmut Kohls Übernahmepolitik gelobt: „Vernünftig“ sei der Zeitplan des Kanzlers für den Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten, „erfreulich“, daß Kohl sich nach seiner Rückkehr aus Moskau gegen einen bloßen „Anschluß“ der DDR gewandt habe. Und nach einem deutlichen Plazet seines DDR-Genossen Ibrahim Böhme: - „Alle klugen moralischen Theoreme sind für die Geschichtsbücher. Im Moment geht es ums Überleben“ -, gönnte er sich gar ein wenig Barmherzigkeit von Kohlschem Format. Bei der Hilfe für die DDR, so Vogel, handle es sich auch um eine psychologische Frage. Dies belege folgendes Beispiel: Erst vor kurzem seien drei Feuerwehrautos, die man in der Bundesrepublik nicht mehr gebraucht habe, der DDR geschenkt worden.

Überhaupt schien gestern in der Hauptstadt am Rhein der Besuch von Ministerpräsident Hans Modrow sehr ähnliche Empfindungen hervorzurufen. Zum Beispiel Peter Kaspers, einziger Gemischtwarenhändler im Regierungsviertel: Als ihm eine Stammkundin einen seit längerem geschuldeten Pfennig zurückgeben wollte, wies er ihn unter beifälligem Gelächter zurück: „Den können Sie für die DDR spenden.“

Ferdos Forudastan