Mandela in Soweto mit seinem Volk vereint

Im Stadion des Schwarzenghettos bejubelten Hundertausend den ANC-Führer / „Unser Volk braucht Wohnungen und keine Ghettos“  ■  Aus Soweto Hans Brandt

Es war der eigentliche Empfang der Schwarzen Südafrikas für Nelson Mandela nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis. „Südafrika hat keinen Veranstaltungsort, der groß genug für diesen Anlaß ist“, begrüßte Murphy Morobe, stellvertretender Pressesprecher der Vereinigten Demokratischen Front (UDF), Nelson Mandela. „Viva Mandela! Viva Mandela!“ donnerte es von allen Rängen des riesigen Fußballstadions „Soccer City“ in Soweto. Alle wollten sie den am Sonntag nach 27jähriger Haft freigelassenen Führer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) bei der Rückkehr an seinen Heimatort begrüßen. Vorgestern schon hatten Hunderte von Menschen singend und tanzend vergeblich vor seinem Haus Nr. 8115 in Orlando West/Soweto gewartet.

Begleitet von ANC-Vertretern und Mitgliedern anderer Anti -Apartheid-Organisationen betrat Mandela dann das Stadion in Soweto. Zehntausende seiner AnhängerInnen reckten dabei die Fäuste in die Luft und tanzten. Die Weißen in und um Johannesburg mußten an diesem Tag auf ihre Arbeitskräfte verzichten. Für die BewohnerInnen Sowetos war gestern Feiertag.

Viele Menschen schwangen schwarz-grün-goldene Fahnen, die Farben des ANC, oder trugen Transparente bei sich. Immer wieder stimmte die Menge Lieder an und skandierte „Willkommen zu Hause, unser Führer“. Mehr als 100.000 Menschen waren ins Stadion gelangt, Tausende standen enttäuscht davor und versuchten, die Tore einzudrücken. „Die Situation ist unkontrollierbar geworden“, ließen die Organisatoren in einem Radioaufruf verbreiten. „Wir bitten die Bevölkerung, nicht zum Stadion zu kommen. Wir werden andere Versammlungen organisieren.“

Und dann sprach „Comrade Mandela“: „Ihr leidet noch immer unter einem unmenschlichen System“, sagte er den BewohnerInnen des Zweimillionenghettos „South West Township“ (Soweto). „Die Wohnungskrise bleibt ungelöst, und die Arbeitslosigkeit ist furchtbar hoch. Unser Volk braucht Wohnungen und keine Ghettos wie hier in Soweto.“ Doch er warnte vor der weitverbreiteten Kriminalität in dem Township Soweto. „Das Ausmaß der Kriminalität in unseren Townships ist ungesund und muß dringend weniger werden“, sagte Mandela.

Mandela berührte in seiner Rede vor allem die tagtäglichen Probleme der Bewohner Sowetos. Er verurteilte die minderwertige Schulbildung für Schwarze. „Das ist Resultat der Tatsache, daß unsere Leute keine Stimme haben und die Regierung deshalb nicht auf ihre Bedürfnisse eingeht.“ Dennoch rief Mandela die SchülerInnen ausdrücklich zur Rückkehr in die Schule auf.

Der ANC-Führer betonte, daß die Probleme des täglichen Lebens Resultat der Apartheid seien. „Ihr leidet noch immer unter der Gewalt der Apartheid“, sagte er. „Wir werden den bewaffneten Kampf so lange fortsetzen, wie die Gewalt der Apartheid andauert.“

Doch Gewalt gegen die eigenen Menschen sei nicht Teil dieses Kampfes. Mandela verurteilte vor allem die andauernde Gewalt in der Provinz Natal und rief die beteiligten Organisationen dringend dazu auf, Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen. Der 71jährige wiederholte vor der militanten Jugend seine Ansicht, daß Verstaatlichung bestimmter Konzerne für eine Umverteilung des Reichtums in Südafrika notwendig sei. „Apartheid hat ein schreckliches System der Ausbeutung geschaffen, in der eine rassische Minderheit den wirtschaftlichen Reichtum monopolisiert“, sagte er. „Schwarze Hände haben die Städte und Straßen dieses Landes gebaut. Wir können nicht vom Teilen dieses Reichtums ausgeschlossen werden.“ Er betonte aber auch, die Zukunftsängste der Weißen seien ein Hindernis, „das wir verstehen und beseitigen müssen“. Und weiter: „Nur eine Demokratie, an der alle beteiligt sind, kann das ändern.“

Abschließend rief Mandela seine ZuhörerInnen dazu auf, sich Anti-Apartheid-Organisationen anzuschließen. „Jeder von euch sollte dafür sorgen, daß den Feinden von Frieden und Freiheit kein Spielraum mehr bleibt, um uns in die Hölle der Apartheid zurückzudrängen“, sagte er. „Nur disziplinierte Massenaktionen können uns den Sieg bringen, den wir wünschen. Geht zurück in eure Schulen, Fabriken und Gemeinschaften, und baut mit viel Energie Massenorganisationen auf, Energie, die die Ereignisse der jüngsten Zeit freigesetzt haben.“ Sprach's und wurde knapp zwei Stunden nach seiner Ankunft mit einem Hubschrauber aus dem Stadion geflogen.