Der Geist des Kapitalismus als neuestes Joint-venture

Deutsch-Deutscher Unternehmertreff beschwört die kapitalistischen Tugenden von Risiko und Freiheit / DIHT-Präsident Stihl:Jeder Dritte Weg führt in die Dritte Welt  ■  Aus West-Berlin Kurt Zausel

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) rief - und viele Tausend kamen. Unter dem etwas sybillinischen, aber gleichwohl programmatischen Titel Unternehmertreff. Deutsch-Deutscher Marktplatz kamen im Westberliner Internationalen Congress Centrum 12.000 Teilnehmer aus der DDR und der BRD zusammen, um gemeinsam den Geist des Kapitalismus zu beschwören, der durch die verkrusteten planwirtschaftlichen Strukturen der DDR geblasen werden soll.

Berge von Informationsmaterial wurden bereitgehalten, um die zukünftige Unternehmer-Elite der DDR auf die Chancen und, eher am Rande, auf die Risiken einer kapitalistischen Marktwirtschaft vorzubereiten. In völliger Fehleinschätzung der politischen Grundstimmung der zukünftigen DDR -Unternehmer wird in den Hochglanzbroschüren lang und breit noch einmal die Niederlage der sozialistischen Planwirtschaft und der grandiose Sieg der sozialen Marktwirtschaft abgefeiert. Nötig war dies nicht, ließen die potentiellen Jungunternehmer nur zu deutlich erkennen, daß sie den erwarteten Pionierprofiten auf den DDR-Märkten geradezu entgegenfiebern.

Beabsichtigt war mit dieser Veranstaltung aber nicht allein die Einschwörung der DDR-Bürger auf die Vorzüge einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Ziel war es auch, die reichlich unübersichtliche ökonomische Landschaft der DDR etwas transparenter zu machen und den bundesdeutschen Investoren Hilfestellungen bei ihren zukünftigen investiven Engagements zu geben. Die Bemühungen waren nicht zu verkennen. Zur Abschätzung zukünftiger Marktchancen und Kooperationsmöglichkeiten wurde vom DIHT beispielsweise voller Stolz eine computergestützte Kooperationsbörse vorgestellt, die bei der Suche nach Geschäftspartnern und der Lösung von Finanzierungs- und Managementproblemen helfen soll. Von bundesdeutscher Seite sind seit längerem mehr als 700.000 Adressen und vielfältige Brancheninformationen gespeichert, die von interessierten DDR-Bürgern jetzt abgefragt werden können.

In bester On-line-Technologie stand diese Datenbank den Tagungsteilnehmern im Foyer des Congress Centrums zur Verfügung. Angesichts des großen Ansturms von Interessenten blieb es allerdings weitgehend bei einer bloßen Demonstration des technisch Möglichen. Die große Zahl von Kooperationswünschen überforderte die Dateneingeber völlig. Die Bäckersfrau aus Gera und die Chemiepioniere aus Bitterfeld werden auf ihre Informationen genau so zu warten haben wie der Mörtelfabrikant aus dem Allgäu, der die Eröffnungsveranstaltung im größten Saal des Congress Centrums gleich zur Eigenwerbung seines Unternehmens zu nutzen wußte und von dem Moderator der Veranstaltung entsprechend als Vorbild für modernes Marketing-Verhalten für die DDR-Besucher herzuhalten hatte.

Doch um praktische Schritte ging es zum Leidwesen vieler DDR-Interessenten sowieso erst in zweiter Linie und am Rande der Veranstaltung. Primäres Anliegen der Standesorganisation der Klein- und Mittelunternehmen war es, die kapitalistischen Tugenden zu beschwören und die verschütteten unternehmerischen Tugenden in der DDR wieder freizulegen. Mit großen Worten wurde dabei nicht gegeizt.

Während der biedere Präsident des DIHT, Hans Peter Stihl, schwäbisch-nuschelnd wieder einmal vor ideologischen Denkübungen und dabei vor allem vor den ideologischen Metaphern der Schriftsteller und Künstler der DDR warnte, deren „Propaganda“ für einen Dritten Weg direkt „in die Dritte Welt“ führe, machte sich der Präsident des mit bundesdeutscher Hilfestellung neugegründeten Unternehmerverbandes der DDR, Rudolf Stadermann, in seiner Eröffnungsrede selbst Mut: 100.000 Unternehmer der DDR ständen „Gewehr bei Fuß“, und wenn die soziale Marktwirtschaft nicht käme, würden die neuen Unternehmer zu einer erneuten „Kampfdemonstration“ aufrufen, um der halbherzigen Wirtschaftspolitik der Wirtschaftsministerin Luft Beine zu machen.

Auch zur Legitimation der sich neu bildenden Klasse wußte der Diplom-Ingenieur einiges beizusteuern. Er erinnerte nämlich nicht allein an die „unternehmerische Partisanentätigkeit“ der letzten 40 Jahre, sondern beanspruchte auch noch gleich die Verantwortung für den gesellschaftlichen Umbruch in der DDR: „Wir als Unternehmer der DDR haben es geschafft, mit der kommunistischen Herrschaft fertig zu werden.“ Das Publikum dankte für solche wohlmeinende Geschichtsfälschung mit viel warmem Beifall.

Bei so viel Getöse wollten auch die bundesdeutschen Vertreter nicht zurückstehen. In bester gruppentherapeutischer Manier und in der Tradition des ultraliberalen Ökonomen Friedrich von Hayek erinnerte der Wiesbadener Geschäftsführer einer Beteiligungsgesellschaft an die „Freiheitskomponente des Unternehmertums“, die Chance nämlich, sich selbst zum Nutzen aller zu verwirklichen.

In geradezu philosophische Höhen schwang sich der Frankfurter Bankvertreter Carl-Heinz Schütte, Mitglied der „Wirtschaftsjunioren“ und Nachwuchsmanager des Monats Febuar, der die Parole ausgab: „Erfolg haben, heißt Chancen nutzen.“ Und: „Nichts ist für den Menschen erfolgreicher als der Erfolg!“ Profaner und im Ton angelsächsisch pragmatischer waren dann seine Vorschläge. Wie ehedem die Hausbesetzerbewegung rief er zum Abschluß von Patenschaften zwischen Unternehmern der Bundesrepublik und Neugründern der DDR auf. Im Zentrum des von ihm verkündeten „Plan of Action 1990“ und der Initiative „SOS Enterprise“ standen die Durchführung von marktwirtschaftlichen Seminaren in der DDR und einer 24-Stunden-Gratis-Existenzgründungs-Beratung, die am 23. April per Telefon in der DDR erfolgen soll.

Ob so viel Hilfsangeboten schien es den DDR -Unternehmenspionieren in ihren grauen und braunen Anzügen die Sprache verschlagen zu haben. Kaum einmal, daß in den Plenumssitzungen von ihnen das Wort ergriffen wurde. Sie schienen zum Zuhören gekommen zu sein und ansonsten die knappen Pausen zu nuten, um erste Kontakte anzuknüpfen und sich an der Gratis-Kartoffelsuppe und den Getränken zu laben. Die vom DIHT beorderten Experten durften darob dankbar sein, mußte sie doch schon bei den seltenen Fällen konkreter Fragen passen.

Wären nicht einige DDR-Spezialisten und Wissenschaftler im Publikum gewesen, dann hätten noch nicht einmal Auskünfte über das seit längerem bekannte Joint-venture-Gesetz gegeben werden können. Aber warum auch sich noch mit derartigen Regelungen abgeben, wo doch bereits in Bälde erwartet werden kann, daß die bundesdeutschen Gesetze auch auf dem Gebiet der DDR gelten. Lernen müssen dann die deutschdemokratischen Unternehmenspioniere.

Damit eine solche Erweiterung des bundesdeutschen Akkumulationsfeldes möglichst schnell erfolgt, wendete sich DIHT-Präsident Stihl bei der Pressekonferenz auch gegen jegliche Maßnahmen zum Abbau der von der Bundesregierung ausgelobten Übersiedlerprämien. In bester Tradition der einst von Franz-Josef Strauß ausgegebenen Sonthofen -Strategie einer politisch induzierten Wirtschaftskrise setzte er auf die hohen Übersiedlerzahlen aus der DDR, die dort nicht nur den ökonomischen Verfall beschleunigen, sondern auch den entsprechenden politischen Druck erzeugen, um die politischen Kräfte rückhaltlos auf die Einführung der sozialen Marktwirtschaft zu verpflichten.

Daß die Übersiedler gleich auch noch als industrielle Reservearmee herangezogen werden sollen, um die frechen bundesdeutschen Gewerkschaften zu disziplinieren und die Lohn- und Arbeitszeitforderungen auf ein „konkurrenzfähiges Maß“ herabzuschrauben, versteht sich schon fast von selbst. Vierzig Jahre nach Kriegsende steuert das bundesdeutsche Bürgertum wieder einem Sieg entgegen.