Anschluß und Demütigung

Modrow-Besuch - Während Kohl auftrumpft, scheut die SPD den Konflikt  ■ K O M M E N T A R E

Der Modrow-Besuch mit MinisterInnen war schon der erste Schritt zum Anschluß, in Stil und Inhalt. In Bonn reiste schließlich eine demokratisch legitimierte, wenn auch nicht demokratisch gewählte Regierung an, eine Regierung des nationalen Konsens. Es ist die Regierung der friedlichen Revolution - von einst, muß man schon sagen: die Verbindung von Rundem Tisch und Übergangsregierung. Andere Strukturen gibt es nicht. Man erinnere sich nur, wie die Opposition bei den letzten Staatsbesuchen der Bonner Regierung in Ost -Berlin hofiert wurde. Das war doch wohl deswegen, weil ihr eine hohe politische Legitimation zugesprochen wurde. Jetzt in Bonn waren die OppositionsministerInnen nur noch lästige Staffage. Sie durften sich bei den Grünen beklagen. Der Runde Tisch wurde abgetan als Organ verspäteter Illusionen. Beispiellos war die publizistische Vorbereitung des Modrow -Besuchs, angefangen von Verkündigung der Währungsunion ohne Konsultation der DDR-Regierung, fortgesetzt durch das gezielte Plaudern Teltschiks über die Zahlungsunfähigkeit der DDR - eine Serie von bewußten Brüskierungen, die nichts anderes zeigen sollen, als daß der Verhandlungspartner von drüben weder gleichrangig ist noch gleichrangig sein soll. Die bewußte Demütigung und die verhaltene, aber hilflose Wut von Modrow, das ist ein Ergebnis des Bonner Besuchs - eine beängstigende Vorschau auf das deutsch -deutsche Verhandlungsklima in diesem Jahr.

Modrow und seine OppositionsministerInnen mußten mit einem Verhandlungserfolg zurückkehren, einem Erfolg in der Sache und in der Stimmung. Sie brauchten einen Erfolg in der Frage der Soforthilfe, um überhaupt Einfluß auf die DDR -Bevölkerung zu gewinnen, deren Torschlußpanik Tag für Tag zunimmt. Sie brauchten ein paritätisches Mitspracherecht für Zeitplan und Priorität von Wirtschaftsreform und Währungsunion. Beides ist in Bonn kalt abgelehnt worden. Die Kommission zur Währungsunion fixiert Kohls Priorität. In ihr wird es keine Parität geben: die D-Mark-Experten werden den Ostmark-Experten erklären, wo es lang geht.

Kohl ist der Sieger der Stunde, voll herablassend-fahriger Freundlichkeit für die anderen Deutschen. Er hat nicht als Stratege gewonnen. Er hat nur eiskalt die Politik des längeren Hebels gemacht. Dieser Hebel besteht aus zwei Teilen - fast banal, es zu sagen: aus der D-Mark und aus der Angst drüben. Soforthilfen sind schon seit Oktober gefordert und von Bonn auch zugestanden worden, damals noch gegenüber Krenz. Er brauchte nur auf Zeit zu spielen, je mehr die DDR -Regierung unter Zeitdruck geriet; er brauchte nur das galoppierende Desaster der Planwirtschaft abzuwarten, um dann genug Existenzangst für seine Politik zu haben. Fast traumhaft synchron geht es auf: die Leipziger Montagsdemonstration ruft, „kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, gehen wir zu ihr“ - und in Bonn wird die Währungsunion verkündet. Sein größter Erfolg ist gewiß, der DDR-Bevölkerung suggeriert zu haben, daß Pleitiers kein Recht mehr auf Interessenforderungen haben. Das impliziert den Verzicht mithin auf eine Interessenvertretung, eine handlungsfähige Regierung. Es ist eine zynische Politik des Anschlusses aus Angst. Und jeden einstmals enteigneten Haus und Grundstücksbesitzer, die jetzt in der DDR schon mal Mieter und LPG-Bauern prophylaktisch einschüchtern, hat er als Agenten für sich. Kohl braucht sich nicht einmal mehr Gedanken zu machen um den innenpolitischen Konsens in der Bundesrepublik, selbst wenn noch im Wahljahr Steuererhöhungen oder Sondersteuern für den Anschluß a tempo nötig sein sollten. Schließlich eröffnet die schnelle Übernahme der DDR den größten Eigentumserwerb seit dem Polenfeldzug. Die DDR-Bevölkerung wird pauperisiert, mit Westgeld in der Hand. „Sozial abfedern“ nennt man das. Hinzu kommt: Kohl hat noch einen Profi als Außenminister, der schon die Verhandlungsetappen bis zum Jahresende abgesteckt hat.

Aber die Frage ist nicht, warum Kohl die Politik des längeren Hebels macht, sondern warum er sie machen kann. Die SPD hatte ja recht, wenn sie sich mit Willy Brandt auf das Tempo der deutschen Vereinigung einließ. Auf die Zeit drücken, damit man Zeit gewinnt. Aber was sagt das jetzt. Hans-Jochen Vogel ist bedrückt. Bedrückt. Willy Brandt meint, man hätte schon seit November Soforthilfen leisten müssen. Man hätte. Haben sie auf die Zeit gedrückt, um sich von Kohl überrunden zu lassen? Die Bonner SPD hat der SPD -Ost bislang eine gute Wahlkampfchance gesichert. Aber hat eine Regierung Böhme mehr in der Hand, mehr Standing als gestern Modrow? Eher weniger; denn jetzt schon definiert Kohl den Zeitplan, dem sich dann die demokratisch gewählte Regierung nach dem 18.März unterwerfen darf. Wer sagt der DDR-Bevölkerung, daß sie mit ihrem hysterischen Druck auf die eigene Regierung die Vertretung ihrer Interessen zerstört? Wer redet in der BRD über die Kosten der Einigung? Wer greift den deutschlandpolitischen Hasardeur Kohl? Die SPD-West wagt nicht den offenen Konflikt, um nicht den Wahlerfolg der SPD-Ost zu gefährden. Auf der Tagesordnung steht: Um Kohl innenpolitisch zu konterkarieren, muß die jetzige DDR-Regierung gestärkt werden, damit die dann gewählte Regierung überhaupt noch ein Verhandlungsmandat mit Gewicht hat. Sie muß auch gestärkt werden, um die politische Macht, die sie noch hat, auch nutzen zu können: die Übersiedler und die drohende Zahlungsunfähigkeit. Bonn ist dafür verantwortlich, aber es kann dafür nur verantwortlich gemacht werden, wenn es eine nationale Solidarität gegen Kohls Politik geben wird. Doch es scheint, daß die SPD mehr am erfolgreichen Wahlkampf als am Schicksal der deutschen Vereinigung interessiert sein wird.

Klaus Hartung