Mandela ruht sich aus - der ANC denkt nach

In Lusaka berät die Anti-Apartheid-Organisation Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) über die zukünftige Rolle des gerade freigekommenen Führers Mandela und Positionen bei Verhandlungen mit der Regierung de Klerk / Weiße haben Angst vor Verstaatlichung und Sozialismus  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Gestern nahm der Führer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), Nelson Mandela, sich erstmals einen Tag Ruhe, um über die Ereignisse der letzten Tage und seine Pläne für die nächsten Wochen mit Beratern zu sprechen. Gleiches tut der ANC in der sambischen Hauptstadt Lusaka, wo sein Exekutivkomitee zu einer zweitägigen Konferenz zusammentraf. Dabei wird die künftige Rolle Mandelas in der Organisation im Mittelpunkt stehen. Deren Führer war er auch in den 27 Jahren seiner Haft nominell. Ein weiteres Thema dürfte die Frage sein, welche Haltung der ANC zu den von Präsident de Klerk verkündeten Reformen einnimmt.

In all seinen öffentlichen Auftritten der letzten Tage war Mandela bemüht gewesen, die Sorgen der weißen Südafrikaner über eine schwarze Mehrheitsregierung zu mindern. Andererseits hielt er jedoch unumwunden an den politischen Grundsätzen des ANC fest. Das ist eine Position, die der ANC sicher auch in den bevorstehenden Verhandlungen mit der Regierung vertreten wird. Die Reaktionen der schwarzen Bevölkerung auf Mandelas Freilassung waren erwartungsgemäß euphorisch verlaufen. Aber die Probleme bei der Kontrolle solcher Menschenmassen wie in Soweto sind ein Hinweis auf zukünftige Sprengsätze. Die hohen Erwartungen, die die schwarze Mehrheit an Mandela stellt, könnten bald enttäuscht werden. Das weiß Mandela. Immer wieder appellierte er an seine schwarzen Mitbürger, diszipliniert aufzutreten. Doch Konflikte wie den in Natal wird er durch solche Appelle nicht so einfach beheben können. Seit seiner Freilassung sind dort mehr als 100 Menschen bei Konflikten zwischen der „United Democratic Front“ (UDF) und der konservativen „Inkatha„-Bewegung des Zulu-Führers Buthelezi ums Leben gekommen. Polizeisprecher machten die „erhöhte politische Temperatur“ verantwortlich. Eine Versammlung von 5.000 Inkatha-Anhängern in der Nähe der Stadt Pietermaritzburg beschloß am Dienstag, einen Waffenstillstand mit UDF -Anhängern aufzugeben. Hilfsorganisationen haben indessen Notprogramme beschlossen, um Tausende von Flüchtlingen aus den umkämpften Gebieten zu versorgen.

Für Mandela und den ANC ist es von entscheidender Bedeutung, ihre Anhängerschaft zu koordinieren. Nur so können sie ihre Position in Verhandlungen mit der Regierung durch gezielte Massenaktionen stärken. Doch vorerst sind es die Weißen Südafrikas, die in diesen Tagen verunsichert sind - und das trotz Mandelas Versicherungen, der ANC werde ihre Ängste nicht ignorieren. Dabei machen sich liberale Weiße vor allem Sorgen um Mandelas Aussagen zur Wirtschaftspolitik. „Ich finde es ja eigentlich gut, daß Mandela freigelassen wurde“, sagte ein weißer Mann am Dienstag. „Aber daß der ANC die Minen verstaatlichen will, das läßt mich daran zweifeln, ob eine ANC-Regierung dem Land guttun würde.“

Für die meisten Weißen sind Sozialismus und Kommunismus nach wie vor bedrohlicher als die politische Gleichberechtigung der Schwarzen als solche. Das spiegelt sich auch in der Position der Regierung wider. Präsident Frederick de Klerk bestätigte diese Woche, daß die Diskreditierung des Kommunismus in Osteuropa entscheidend dazu beigetragen habe, daß er den ANC nach 30 Jahren wieder legalisierte. Auch Verfassungsminister Gerrit Viljoen nannte Mandelas Unterstützung für Verstaatlichung naiv und unverantwortlich: „Ein großer Teil der ANC-Politik ist einige Jahrzehnte alt und muß dringend revidiert werden.“

In diesem Spannungsfeld werden sich sicher auch die Verhandlungen zwischen ANC und Regierung bewegen. Es wird erwartet, daß Mandela schon nächste Woche nach Lusaka fahren wird. Nach diesen Konsultationen sollte die Position des ANC deutlich sein. Mandela selbst betonte diese Woche, daß er eine baldige Aufnahme von Verhandlungen erwartet. Dann werden sich die Erwartungen der Schwarzen und die Befürchtungen der Weißen treffen.