„Wenn Sie Korruption abschaffen wollen, müssen Sie die Menschen abschaffen“

König Taufa'ahau Tupou IV, schwergewichtiger Herrscher über die ca. 171 Inseln des alten polynesischen Königreiches Tonga, über seine tägliche Arbeit als Monarch  ■ I N T E R V I E W

taz: Das beeindruckendste Statement, das ich je von Ihrer Majestät gehört habe, fiel bei einem Staatsbesuch in Bonn. Auf die Frage nach Tongas Rolle in der Weltpolitik antworteten Sie auf alte polynesische Weise: „Wir sitzen alle in einem Kanu.“ Was ist Tongas Aufgabe im großen Kanu? Was kann uns Deutsche Tonga lehren?

Taufa'ahau Tupou IV: Ich weiß nicht mehr, in welchem Kontext ich das gesagt habe. Aber vielleicht ist es dies: Tonga ist ziemlich friedfertig, fortschrittlich und politisch sehr stabil.

Und was ist Tongas besondere Beziehung zur BRD?

König: Ja, Deutschland hilft uns sehr, etwa im Schiffsbau. Und wir haben auch gerade eine Militärbarke bekommen, die auf dem Rhein nicht mehr gebraucht wurde, einen Frachter aus Hamburg, und eine Fähre, die in Bremen gebaut wurde.

Sicher haben Sie die Öffnung der Berliner Mauer mitverfolgt. Eine Wiedervereinigung könnte Tonga größere Absatzmärkte bieten...

König: Die Teilung des deutschen Volkes ist ja sehr künstlich, so wie zwischen West Samoa und Amerikanisch -Samoa.

Fänden Sie eine Wiedervereinigung denn richtig?

König: Well, ja, aber nur eine Wiedervereinigung, die für beide Seiten akzeptabel ist, weil die Sowjetunion vor einem zu starken Deutschland Angst haben könnte. Die Logik des politischen Geschäfts sollte sein, daß die UdSSR mehr und mehr ins westliche Europa integriert wird. Und die Sowjetunion braucht europäische Hilfe, um so viele ihrer brachliegenden Ressourcen zu erschließen, sich weiterzuentwickeln. Und Europa braucht ganz Osteuropa. Die Zeit der Drohungen und Bedrohungen ist vorbei, jeder braucht jeden.

Alle sitzen halt in einem Kanu. Und ich merke, Eure Majestät interessiert sich sehr für europäische Politik, obwohl das ja nun wirklich weit weg ist.

König: Ja, natürlich, die ganze Welt ist dabei, sich anzunähern. Jeder der draußen bleibt, ist ein Verlierer.

Obwohl Tonga sehr weit weg ist, sind Sie selbst bei uns sehr populär...

König: ... Ja, ich weiß.

Was könnte denn das Geheimnis Ihrer Popularität sein?

König: Well, ja, das liegt wohl ganz einfach daran, weil wir sehr freundschaftliche Beziehungen haben, Tonga und Deutschland - seit den Tagen von Bismarck. Und Bismarck war der Gründer des deutschen Kaiserreichs. Unglücklicherweise folgte das Reich ja nicht seiner Politik. Darum mußte Bismarck zurückzutreten... Bismarcks Politik wurde von Kaiser Wilhelm Second ins Gegenteil verkehrt, was dann zum Weltkrieg Eins führte. Das war alles ein großer Fehler. Sie hätten dem Bismarckschen System folgen sollen. Wenn die alten Monarchien Deutschland, Österreich und Rußland zusammengehalten hätten, eine solche Allianz hätte niemand herausgefordert, nicht wahr, unmöglich wäre das gewesen, haha.

Gut, aber ist Ihre Kenntnis der deutschen Geschichte das Geheimnis ihre Popularität? Wissen Sie, die Leute wissen nicht, wo Tahiti ist, wo Samoa, aber den König von Tonga kennt man.

König: Well, natürlich, die Leute wissen, daß ich ein großer Freund Deutschlands bin. Das ist sehr wichtig.

Hier leben etwa 50 Deutsche. Was tun die für Ihr Land.

König: Nun, die steuern einiges zu unserer Wirtschaft bei. Sie haben Geschäfte und führen Restaurants. Die machen sich sehr nützlich. Der beste Koch von ganz Tonga ist Deutscher, you know, ein first class Mann. Er macht wunderbare Dinner. Sein Essen, ja, das macht mir immer sehr viele Freude.

Äußerst populär ist Eure Majestät beim eigenen Volk. Es heißt, die Tonganer lieben Sie, und...

König: Oh, ja, und das hat viele Gründe: Ich bin ein großer Sportsfreund, ich unterstütze viele Jugendaktivitäten, ich habe keine schlechten Angewohnheiten, ich trinke keinen Alkohol, rauche nicht. Die Leute vertrauen mir einfach. Und ich liebe die Leute.

Aber nicht jeder ist zufrieden. Die Adligen hätten zuviel Macht, und nicht mal ein Drittel des Parlamentes wird vom Volk gewählt.

König: Ja, das ist schon ein kleiner Anteil, aber die Leute sind schon zufrieden, weil unser Land stabil ist. Die Stabilität ist eine Attraktion Tongas, auch für fremde Investoren.

Das mag sein. Aber es gibt Korruption, man sagt, die Adligen hätten zuviel Einfluß, verdienten zuviel, seien unkontrolliert.

König: Ach, ich glaube nicht, daß es in Tonga mehr Korruption gibt als in anderen Ländern. Wo immer es Leute gibt, gibt es Korruption. Und wenn sie die Korruption abschaffen wollen, müssen sie die Leute abschaffen, haha. Eine offene Demokratie, wenn was schief geht - und es gehen immer Dinge schief -, dann gibt es schnell einen Putsch. Sehen Sie sich nur die Geschichte Europas an: Manche hatten Erfolg mit der Demokratie, aber zum Beispiel Rußland, die Revolution 1917 war demokratisch, aber ... Oder Spanien: freie Wahlen, und dann, vor Franco, hatten die Spanier eine extreme sozialistische Regierung, schließlich dieser lange Bürgerkrieg mit soviel Blutvergießen. Erst als viel später Franco tot war, konnte die Monarchie restauriert werden, mit einer demokratischen Verfassung. Oder Deutschland selbst: die Mehrheit hat frei gewählt, und wen: die Nazis. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Wenn ein frei gewähltes Parlament Fehler macht, kann es ein großes Blutvergießen geben. Freie Wahlen sind ein großes Risiko.

Einer Ihrer vehementesten Kritiker ist Akilisi Pohiva. Er will schnelle Änderungen, freie Wahlen. Ist er gefährlich für Tonga?

König: Nein. Ich glaube, er versteht Geschichte nicht.

Nun ja, aber er ist nunmal da. Die Meuterei auf der Bounty geschah in tonganischen Gewässern, bei den Ha'apai-Inseln. Pohiva kommt auch von Ha'apai. Wird es eine zweite Meuterei hier geben?

König: Ach was, nein. Der wird wohl gar nicht wiedergewählt.

Da sind Ihre Untertanen aber ganz anderer Meinung. Aber selbst dann wird er seinen Mund nicht halten.

König: Gut, soll er ruhig. Aber niemand wird ihm glauben.

Eure Majestät bleibt bei aller Kritik immer außen vor...

König: Ja, sehen Sie, die Geschichte Tongas hat ja gezeigt, daß die Freiheit der Menschen nicht durch eine populäre Versammlung, ein Parlament, geschaffen wurde, sondern durch das Königshaus. Der König von Tonga ist immer der oberste Wächter gewesen. Die tonganische Verfassung ist auf Konsens aufgebaut.

Trotz aller Kritik darf ich annehmen, daß Eure Majestät mit Ihrem, wenn ich so sagen darf, „Job“ zufrieden sind. Oder möchten Sie mit jemandem tauschen?

König: Ach, nein. Und ich bleibe dabei, daß Bismarck der größte Politiker ist, den es je gab. Bismarck bleibt unvergleichlich, danach kommt lange niemand. Deshalb darf ich Ihnen nochmal für das Fläschchen German Schnaps danken. Ich trinke ja nicht, aber ich nehme Ihren „Fürst Bismarck“ gern als Souvenir aus Germany.