Demokratie ist gefährlich

■ Tongas beleibter wie beliebter König warnt vor den Mitbestimmungs- Gelüsten seiner Untertanen / Aus der Südsee Bernd Müllender

Das kleine Königreich Tonga ist unbestritten die Nummer Eins in der Welt - zumindest geographisch. Unmittelbar neben der Internationalen Datumslinie gelegen, nimmt jeder Tag an dieser Stelle seinen Anfang. Politisch und gesellschaftlich ist es eher umgekehrt: Zu Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und mit Konsumwünschen, die über Kokosnußprodukte hinausgehen, darf das Volk weniger als ein Drittel der Parlamentarier bestimmen, Krone und Adel aber pochen auf ihre fetten Privilegien. Heute wird gewählt auf den „Friendly Islands“.

Alles scheint wie immer: Die Menschen in Tonga lächeln, grüßen, albern und lachen um die Wette, polynesische Weisen füllen die schwüle Luft, und ab und zu schleicht eine Nobelkarosse der Südsee-Royals über die Schlaglochpisten. Nach wie vor gibt es kein Haus über Palmenhöhe, keinen eigenen Fernsehsender und keine einzige Ampel im Machtbereich Seiner Majestät König Taufa'ahau Tupou IV. Die charmante Rückständigkeit des Inselreichs jenseits aller transkontinentalen Flugverbindungen gilt unter den wenigen Touristen (davon rund 1.000 Deutsche pro Jahr) nach wie vor als die große Attraktion. Falls es noch so etwas wie ein Südsee-Paradies gibt, sagen sie, dann ist es dieses „Lummerland“ ('Die Zeit‘), das der Seefahrer James Cook „die Freundlichen Inseln“ nannte und einer der heute hier lebenden Deutschen als „das Land der erwachsenen Kinder“ bezeichnet.

Akilisa Pohiva sieht sein Land weniger folkloristisch. Er ist seit drei Jahren einer der neun gewählten Volksvertreter in Tongas 33köpfigem Parlament. Auch ist er, seit vor 150 Jahren ein Pastor die monarchiefixierte Verfassung des umfassend missionierten Landes schrieb, der erste „commoner“, der seinen Wählerauftrag richtig ernst nimmt: Der 48jährige stellt die Vorrechte des Adels laut in Frage, er fordert ein gänzlich vom Volk gewähltes Parlament und deckt die dreistesten Fälle von Korruption auf. Zuletzt, in der Januar-Ausgabe seiner frechen Monatszeitung 'Kele'a‘ („Ohrmuschel“), berichtete Pohiva über den königlich -tonganischen Finanzminister, der zu einer Weltbank-Tagung nach Washington entsandt war, seine Reise aus einem Weltbank -Fond finanziert bekam, um nach seiner Rückkehr nochmal reichlich in die eigene Finanzschatulle zu greifen. Die Royals, die sich stets unkontrolliert bedienen konnten, heulen natürlich auf: Pohiva und seine Freunde seien Marxisten, die die friedlichen TonganerInnen zum Umsturz anstiften, zudem Gottlose, die die in der Verfassung garantierte Kirchenmacht untergraben wollen; in Tonga ruht des Hl.Sonntags jegliche Arbeit, Geschäfte und öffentliche Einrichtungen inclusive Flughafen haben geschlossen, nicht einmal Taxis dürfen fahren. Und die Messe in der Wesleyan -Kirche des Königshauses liest ein sehr weltlicher Geistlicher: der Innenminister. Dieser hatte Akilisi Pohiva zu Beginn seines Bürgerengagements prophezeit, wer den Mund zu sehr aufmache, könne sich „plötzlich in Luft auflösen“.

Niemand hungert in Tonga, die tropische Witterung läßt Früchte und Gemüse ausreichend sprießen, um alle Mägen zu füllen. Doch der Mensch lebt nicht nur von der Kokosnuß allein: Immer mehr vor allem junge TonganerInnen verlassen das Land. 100.000 leben auf den ca. 171 Inseln, mindestens weitere 60.000 sind dauerhafte GastarbeiterInnen „gleich nebenan“ in Neuseeland und Australien, manche auch in Kanada und den USA. Dieses selten krasse Mißverhältnis hilft der Monarchie zu überleben; denn viele derjenigen, die im Ausland über den Kokosschalenrand hinauszugucken gelernt haben, kehren nicht mehr in die rückständige unaufgeklärte Heimat zurück. Und ihre Überweisungen an Hartwährung helfen den Daheimgebliebenen und der tonganischen Handelsbilanz. Diese eigene Fremdfinanzierung löst eine andere tonganische Eigenheit mehr und mehr ab: Jeder junge Mann bekommt an seinem 18.Geburtstag vom Königshaus ein Stück Land geschenkt, das er mit Kokospalmen bewirtschaften muß. Doch längst reicht das Land nicht mehr aus, die Parzellen werden kleiner, auch weil die Krone ihre eigenen Ländereien selbstredend nicht antastet.

Dennoch: Was Oppositionelle wie Pohiva aufdecken, beginnt die Leute zu interessieren. Für etwaige Überstunden bekommen Beamte Lohn für einen vollen Tag - auch wenn sie nur zwei Minuten länger den Bleistift festhalten. In der letzten Legislaturperiode mußten sich adlige Parlamentarier erstmalig Untersuchungsausschüssen stellen. Als die noble Ministerriege eine Anklage gegen einen ihrer Ministerkollegen mehrheitlich verweigerte, unterschrieben 8.000 Leute - immerhin jeder sechste Erwachsene - eine Petition an den König.

Allmählich ärgern sie die immer dickeren Mercedes-Schlitten der Adligen, und sie lernen, was die „nobles“ während der vielen Monate außer Landes eigentlich tun: sich ein schönes Leben in ihren klimatisierten Luxusvillen in Auckland oder Sydney machen. Richtig wütend wurden sie, als sich zur heutigen Wahl Prinzessin Nanasi Pau'u als Kandidatin des Volkes eintragen lassen wollte. Schnell zog sie zurück. Dazu 'Kele'a‘: „Bei all ihrer sprichwörtlichen polynesischen Trägkeit fangen die Leute jetzt an, einen Sinn dafür zu entwickeln, daß sie Teil des politischen Prozesses sind.“

Bei aller Kritik am tonganischen Adelsgeschlecht bleibt der 71jährige König, auch in Pohivas öffentlichen Anklagen, meist außen vor; er ist die gütige Integrationsfigur, der man, neben dem stets unvermeidlichen tonganischen Lächeln, immer Ehrfurcht entgegenbringt, wenn er in aller Öffentlichkeit mit dem Ruderboot kämpft, seinen königlichen Körper ins Schwimmbad wirft oder auf seinem Spezialradl dahintrampelt. Taufa'ahau Tupou IV. ist beliebt, fast so beliebt wie beleibt. Ob ihm die Proteste aus dem Bürgertum auf den Magen schlagen? Zuletzt hat der Herrscher einen Zentner auf schlanke 170 Kilo abgespeckt.