Währungsunion: DDR-Bürger räumen Konten

Run auf DDR-Sparkassen / Weil alle von der D-Mark reden, räumen DDR-Bürger Sparguthaben / Angst vor Wertverfall ins Bodenlose / Ersparnisse werden in Wertgegenstände umgesetzt oder aufgesplittet / Ministerin Luft fordert Wechselkurs von 1:1 für Sparguthaben  ■  Aus Ost-Berlin Vera Gaserow

Wenn sich in diesen Tagen in den DDR-Straßen die berüchtigten Schlangen bilden, dann gibt es ausnahmsweise keine Mangelware zu kaufen, sondern etwas, was in der DDR reichlich zu haben ist: Geld. Je unausweichlicher die Währungsunion scheint, desto dichter stauen sich die Menschen vor Banken und Sparkassen. Entnervte Sparkassenangestellte in Ost-Berlin berichten von eineinhalbstündigen Wartezeiten und „daß sie mit dem Ansturm überhaupt nicht mehr fertig werden“. Der Run auf Banken und Sparkassen gilt den Sparkonten, die - aus Angst, daß sie bald nichts mehr wert sind - geräumt oder umverteilt werden. Allein im Januar haben besorgte DDR-Sparer 1,7 Milliarden Mark von ihren Konten abgehoben. Andere lassen sich ihre Lebensversicherung auszahlen, weil sie fürchten, daß die nach einer Währungsunion bestenfalls das Papier wert ist, auf dem der Vertrag steht.

„Unser Geld war doch schon immer nix wert, wenn jetzt die D -Mark kommt, ist es vielleicht ganz futsch, da versuch‘ ich lieber, es jetzt noch drüben schwarz zu tauschen, auch, wenn der Kurs miserabel ist“, gesteht ein Mittvierziger in der Warteschlange bei der Zweigstelle der DDR-Sparkasse am Alexanderplatz ganz offen. Wie er dachten gestern offenbar viele. Bei einem Gesamt- Sparguthaben von 155 Milliarden verfügt rein statistisch jeder DDR-Bürger über ein Bankkonto von 10.000 Mark und das - so meinen jetzt viele - muß in Sicherheit gebracht werden. Als Sicherheit gilt die zum schlechten Schwarzmarktkurs eingetauschte DM oder die Investition in Wertgegenstände. Fernseher oder Kühlschränke, so berichten OstberlinerInnen, sind deswegen vielerorts schon restlos ausverkauft. Zusätzlich sorgt seit Anfang der Woche ein hartnäckiges Gerücht dafür, daß Sparkassenfilialen zur Zeit umstürmter sind als einst die Delikat-Läden: Eine Höchstsumme von bis zu 5.000 Ostmark könnte bei einer nahenden Währungsunion zum Kurs von 1:1 in DM getauscht werden, heißt dieses Gerücht. Was mit dem Rest der Sparguthaben passiert, sei ungewiß. Findige DDR-SparerInnen räumen daraufhin ihre Konten bis zu dieser Summe ab und richten für die Oma oder den zwei Monate alten Säugling schnell ein neues Sparbuch ein, auf das dann das abgehobene Geld wandert. Auf diese Weise hat sich in der DDR in den letzten Tagen die Zahl der Sparkonteninhaber zwar vergrößert. Die Sparsumme ist aber nicht angewachsen, sondern eher geringer geworden. In einigen Zweigstellen, so berichten Bankangestellte, seien deswegen schon die Sparbücher ausgegangen.

Was an diesem Gerücht eines limitierten 1:1-Umtauschkurses für Sparguthaben dran ist, konnten auch die gestrigen Gespräche in Bonn nicht klären. DDR-Wirtschaftministerin Luft forderte zwar, daß bei einer künftigen Währungsunion Sparer aus der DDR ihre Guthaben in voller Höhe eins zu eins umtauschen dürfen. Immerhin hätten manche DDR-Bürger Jahrzehnte dafür gespart. Eine Währungsunion dürfe keinesfalls mit sozialen Härten für die DDR-Bevölkerung verbunden sein, meinte die Ministerin und verlangte deshalb für die Sparguthaben einen festen Wechselkurs. Bundesfinanzminister Waigel wies diese Forderung gestern jedoch umgehend zurück. Er bezeichnete das Modell einer Währungsunion mit Einführung eines festen Wechselkurses als einen „Irrweg mit fatalen Konsequenzen für unsere Wirtschaft“.

Für die Bank- und Sparkassenangestellten der DDR hat der jüngste Ansturm auf ihre Schalter das Faß jetzt zum Überlaufen gebracht. In mehreren Städten traten die zumeist aus Frauen bestehenden Belegschaften am Dienstag in einen Warnstreik. Sie liegen mit einem Nettoverdienst zwischen 500 und 650 Mark deutlich am unteren Rand der DDR-Lohnskala und fordern mindestens 400 Mark mehr im Monat. Zugesagt wurde ihnen bisher jedoch nur eine Lohnerhöhung von 200 Mark zum 1. Juli. Wenn sich das nicht ändert, könnten lange Schlangen bald vor geschlossenen Banktüren stehen, an denen ein Schild hängt: „Wegen Streik geschlossen“