Lausige Zeiten, im Süden nichts Neues

■ Was geschieht auf der Berliner Drehscheibe für die Ost-West-Kooperation mit dem Süden?

Jeder weiß es: Die Entwicklungszusagen an die Schwellenländer des Ostens reduzieren zwangsläufig die Investitionsbereitschaft, aber auch das entwicklungspolitische Engagement im Süden. Was den einen ein schlechtes Gewissen bereitet, mag den anderen als Chance erscheinen - eine Verkennung der Tatsachen ist es so oder so. Darauf machte gestern im Haus der Kulturen der Argentinier Leopoldo Marmora aufmerksam. Bereits die gesamten achtziger Jahre seien ein Jahrzehnt der Hoffnungslosigkeit gewesen, Entwicklungshilfe ohnehin gescheitert und nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die geläufige Floskel vom Tauwetter im Osten und der dadurch bedingten Eiszeit im Süden suggeriere jedoch, daß sich die Wende erst jetzt einstelle. Denn das Interesse an außereuropäischen Entwicklungsländern war und bleibt gering. Das Investitionsaufkommen liegt bereits unter zehn Prozent. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Neue Akzente in der Entwicklungszusammenarbeit des Landes Berlin?“ hatte die Gesellschaft für internationale Entwicklung (SID) geladen. Anwesend waren Diskutanten aus aller Herren Länder und den drei genannten Hemisphären. Gleich zu Beginn bezichtigte sich der Verantwortliche Bernd Schleich, ohne zwingenden Grund ein frauenloses Podium geladen zu haben, und hoffte auf diese Weise seinen Faux pas unter Punkt 4 des Proustschen Fragebogens „Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?“ abhaken zu können. „Die Scham ist vorbei“, kommentierte Claudia von Braunmühl diese und andere in allen gesellschaftlichen Bereichen zunehmende Entsensibilisierung. Gleichzeitig warnte sie, daß fortan die Krise der Entwicklungspolitik und die Ansätze anderer Schuldenpolitik aus dem Bewußtsein gestrichen werden könnten. Daß die Organisatoren mit den Frauen ausgerechnet das einzige historische Subjekt vergessen hätten, das willens sei, die anstehenden Mühen und Entbehrungen auch auf sich zu nehmen, beklagte spitzfindig ein engagierter Frauenfreund. Die Frage nach dem Subjekt der Umgestaltung der Systeme in Richtung auf globale Probleme stellte auch Professor Dr. Khalatbari von der Humboldt-Universität. Und selbst wenn es sich fände, käme es zu spät: In elf Jahren wird die Weltbevölkerung um eine Milliarde zunehmen. Jährlich drängen 40 Millionen junge Menschen auf die Arbeitsmärkte, Pauperismus und Slumbildung werden zunehmen. Bis zum Jahr 2000 wird sich die Verwüstung verdreifachen. Abhilfe schaffen wird da auch nicht die „durchs Kapital gebannte Solidarität“ der DDR-Bürger - und schon gar nicht die private Initiative, auf der auch hier alle Hoffnungen ruhen. „Wir müssen uns etwas Neues ausdenken“, bekannte Hans-Joachim Döring von INKOTA (Zusammenschluß freier Dritte-Welt-Gruppen der DDR). Die außerparteiliche Dritte-Welt-Bewegung sei in der DDR aufgrund der geringen Reise- und Ausländererfahrung relativ schwach. Immerhin habe der Runde Tisch zwar eine Arbeitskommission einberufen, um für die rund 85.000 ausländischen Bürger, noch unter der sozialistischen Regierung als Arbeitskräfte unter Vertrag genommen, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen.

Allein Zola Sankosi aus Südafrika zeigte sich hinsichtlich der globalen Umbrüche ausnehmend zuversichtlich. „Je eher ihr geht, desto besser.“ Schon immer habe sich Entwicklungshilfe am Profit orientiert. „Ich sehe nun die Möglichkeit für eine Süd-Süd-Kooperation, für die Lösung der Regionalkonflikte und die Entwicklung eines afrikanischen Humanismus.“

Gewiß, die Überwindung des Ost-West-Konflikts bedeutet auch ein Legitimationsdefizit für die Militarisierung regionaler Konflikte. Nichtsdestotrotz werden auch in Zukunft Waffenexport und -montage in der Dritten Welt ein zentraler Devisenbringer für Polen, aber auch die DDR und BRD bleiben, bemerkte Edward Klimczak von der Gesellschaft Solidarinosc.

Simone Lenz