Agenten „aus dem Tollhaus“

■ Der Berliner VS führte jahrelang ohne Rechtsgrundlage Under-Cover-Agenten / VS-Kontrolleure wurden belogen / Einer der Agenten legte ein Geständnis ab

Vermutungen werden wahr: Beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz waren seit dem Februar 1986 Under-Cover -Agenten (UCAs) am Werke - ohne Rechtsgrundlage, ohne Anleitung und ohne durchschlagenden Erfolg. Innensenator Pätzold nannte die Vorgänge im Landesamt in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz ein weiteres „Stück aus dem Tollhaus“.

Die UCAs kamen von der Polizei, von der fünften Abteilung des Mobilen Einsatzkommandos (MEK). Ihren Anfang nahm die verdeckte Ermittlungstätigkeit zur Zeit der Studentenbewegung. Als „Diskussionskommando“ sollten die Beamten „auf potentielle Gewalttäter kommunikativ einwirken“. Spätestens mit dem Enstehen der Hausbesetzerbewegung wandelte sich aber die Arbeit: Die Beamten drangen tief in die Szene ein - 1984 wurde die Gruppe mit konspirativen Wohnungen und falschen Papieren ausgestattet. Nach der Ära der Hausbesetzer arbeiteten die verdeckten Ermittler dennoch weiter. Sie wählten sich zum Teil „eigene Schwerpunkte, die sich von ihrer eigentlichen Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr bzw. der Aufklärung immer weiter entfernten“, heißt es in dem Bericht der Projektgruppe Verfassungsschutz, den Innensenator Pätzold den Ausschuß-Mitgliedern übergab.

Im Februar 1986 wurden die Beamten dann zum Verfassungsschutz (VS) überstellt. Ihren Dienstgrad als Polizisten behielten sie weiter, wenn auch ohne „Vollzugsauftrag“. Zuvor hatte Staatssekretär Conen im Innenausschuß die Existenz der UCAs bei der Polizei geleugnet. Mit dem Wechsel zum Verfassungsschutz wurde die Praxis den Ausführungen Conens nachträglich angepaßt. Die damaligen VS-Kontrolleure wurden dabei dreist angelogen. Ihnen wurde das Märchen aufgetischt, daß Mitarbeiter der Kölner VS-Bundesamtes sich in Berlin eine Legende in der linken Szene zulegen sollten. In Wahrheit ging es dem damaligen Innenstaatssekretär Müllenbrock nur darum, seine erkenntnisträchtigen Mitarbeiter nicht zu verlieren.

Der Bericht der Projektgruppe weist auch aus, daß die Arbeit der UCAs nicht sonderlich erfolgreich gewesen sein kann. Anläßlich der Beobachtung von Demonstrationen und autonomen Vollversammlungen im Mehringhof hätten die Beamten oft weit über 50 Namen von Teilnehmern genannt. Der Umfang der Meldung sei um bis zu 90 Prozent gestiegen. „Die unmittelbare Folge der Tätigkeit der Arbeitsgruppe war nun aber nicht eine Verbesserung der Prognosefähigkeit der Auswertung, sondern deren Arbeitsüberlastung“. Die Auswertungskapazitäten waren zu gering.

Eine Rechtsgrundlage für den Einsatz der UCAs beim VS gab es nach den Worten Pätzolds nicht. Verdeckte Ermittlungen bewegten sich schon für die Polizei in einem Bereich der Grauzone. Für den VS hat dessen Justitiar eindeutig erklärt: „Klar rechtswidrig.“ Der Justitiar war zu dem Thema aber nie gehört worden.

Die verdeckten Ermittler sind, wie Pätzold erklärte, mittlerweile „aus dem bisherigen Dienst herausgenommen“. Um eine Enttarnung ihrer Mitarbeiter zu verhindern, schreckte das Landesamt in der Amtszeit der Innensenatoren Lummer und Kewenig auch vor Rechtsbruch nicht zurück. So wurde am 1.Mai 1988 einer der UCAs von EbLT-Mitgliedern fürchterlich verprügelt. Weil er einen Stein auf einen Polizeitransporter geworfen haben sollte, wurde der Agent dann sogar vor Gericht gestellt. Im Amt wurde fieberhaft diskutiert, wie man einer Enttarnung einerseits und gravierenden Folgen für den Mitarbeiter andererseits beikommen könnte. Owohl er bei seinen Vorgesetzten die ihm zur Last gelegten Vorwürfe wiederholt dementierte, legte der UCA bei Verschleierung seiner Identität vor den Richtern ein falsches Geständnis ab. Hätte er seine Unschuld beteuert, hätte er mit einer Haftstrafe von über einem Jahr rechnen müssen. Und nach geltendem Disziplinarrecht, wäre er dann aus dem Staatsdienst geflogen.

Wolfgang Gast