Eine Altenbourg-Ausstellung

■ Erinnerungen an die Schwierigkeiten der bildenden Kunst im damals noch real existierenden Sozialismus

Es muß wohl im Dezember des Jahres 1974 gewesen sein, als wir's vor Langeweile nicht mehr aushalten konnten. Der Kreis Glauchau damals - ein kultureller Langweiler wie viele.

Wir hatten zwar in Meerane die „Kleine Galerie“ des Kulturbundes; Schieferdecker hatte ausgestellt, Robert Rehfeld, Carl Friedrich Claus. Dieter Schmitt, damals schon verfemt, war von uns eingeladen worden, während eines Symposiums die Dresdner Kunstszene vorzustellen. Damit waren wir bis ganz oben unangenehm aufgefallen. Ich mußte eine schriftliche Stellungnahme für die SED-Kreisleitung verfassen: „Wie kommt der dazu, unsere Genossin Lea. Gr. anzufeinden?“ (Dabei hatte er doch nur gesagt, daß sich zu ihrem künstlerischen Unvermögen politische Macht als ZK -Mitglied gesellt.)

Teufi, Teufi!

Den Carl Friedrich hatten wir ursprünglich auch ausladen sollen. Grund: technisch.

Und immer wieder: unsere Werktätigen wollen das nicht! Da stehste da als Genosse und staatlicher Leiter und mußt die Arschbacken zusammenkneifen und mußt durch oder rühmlich darin untergehn. Und ob „rühmlich“ würde man ohnehin erst am Sankt Nimmerleinstag wissen.

Die Galerie hatten wir.

Nun also war's Dezember geworden. Das Museum und die Kunstsammlung Schloß Hinterglauchau hatte einen jungen Direktor bekommen. Der, mein Freund und Leiter der Abteiliung Kultur beim Rat des Kreises, Ernst Kreitlow, und ich als sein Stellvertreter beschlossen, unserem Land einen Dienst zu erweisen. Das mußte jetzt gemacht werden. Für eine Ausstellung eines wichtigen Teils des Werkes Gerhard Altenbourgs, im benachbarten Altenburg wohnend, wollten wir Schloß Hinterglauchau herausputzen.

Durch Vermittlung des Malers und Graphikers Johannes Feige erhielten Günter Ullmann, der Direktor, und ich einen Termin beim Meister.

Wir waren in hoher Stimmung als wir in Altenburg ankamen, wurden freundschaftlich empfangen und hatten einen wunderschönen Nachmittag.

Gerhard Altenbourg kochte Tee und reichte Gebäck, freute sich über dies und das mit seinem unnachahmlichen „schöön“ und wenige Wochen später saßen wir im Schloß Hinterglauchau wieder beisammen und gingen gleich zur Sache.

Also: Altenbourg in Hinterglauchau.

Wir freuten uns diebisch. Das würde den Kunstfreunden in aller Welt vertrackte Rätsel aufgeben. Wie liest sich denn das: Altenbourg in Paris, New York, Chicago, Berlin, Tokio, Hinterglauchau.

Klingt das nicht wie ...? Richtig, klingt wie Hintertupfing. So muß es wohl auch die Kulturkommission des damaligen Zentralkomitees der SED aufgefaßt haben, denn als einige Monate der Vorbereitung ins Land gegangen waren, spürten wir Widerstand.

Aus „ungenannt sein wollenden, aber im allgemeinen gut informierten Kreisen“ hörten wir von einem gewaltigen Donnerwetter während einer Kommissionssitzung, hörten von „staatsfeindlichen Aktivitäten“ und: „die wollen uns wohl verscheißern“.

Aber nichts da, es war uns ernst, bitter ernst.

„Wir brauchen Verbündete“, sagte ich zu Günter Ullmann. Einen hatten wir, nur einen, den Kreitlow, Ernst. Er kämpfte gegen den angewiesenen Widerstand der SED-Kreisleitung und gegen seinen Vorgesetzten beim Rat des Bezirkes Karl-Marx -Stadt.

Die SED-Funktionäre befanden sich hier in mißlicher Lage. Wie sollte eine Ausstellung eines DDR-Bürgers, Mitglied des Künstlerverbandes der DDR und Mitglied der Akademie der Künste von Berlin-West (nach Helsinki ein schon weißglühendes Eisen) verhindert werden, wenn die verantwortlichen Genossen an der Basis nicht in altbewährter Parteidisziplin mitzogen?

Die aber waren tollkühn genug, keine Gesetzesverletzungen zuzulassen.

Wir brauchten also Verbündete.

Professor Bernhard Heisig, Vizepräsident des Verbandes bildender Künstler damals, sagte uns am Telefon, daß er keinen Grund sehe, Altenbourg nicht auszustellen. Am Telefon. Das haben leider nur wir gehört.

Konrad Wolf, damals Präsident der Akademie der Künste der DDR, war außer Landes und eine höhere Dame aus einem wichtigen Ministerium, die wir in Berlin-Pankow nur nachts besuchen sollten (Auto mehrere Straßen entfernt stehenlassen, nur einer sollte kommen), war trotz heftigen Klingelns nicht aufzuwecken.

Dann sind wir bei dichtem Nebel nach Erkner gefahren, zu Lothar Lang. L. L., der sich um die progressiven Künstler der DDR sehr verdient gemacht hat, damals als Kritiker der Weltbühne, heute als Direktor des Museums Schloß Burgk an der Saale, Lothar Lang war ganz unbekümmert. Jegliches Gekläff ignorierte er. Weitermachen. Das war leicht gesagt.

Mit Annegret Janda wurde das Manuskript des Katalogs durchgesehen.

„Frau Janda, wir sollten die Ausstellungsorte nach dem Alphabet ordnen, nicht nach der Wichtigkeit.“

„Gut, das kann man verantworten“, sagt Frau Janda. Dadurch hatten wir als erste Stadt eine in der DDR stehen, Altenburg.

Ach, wie gut wir das hatten einfädeln wollen.

Aber die „Druckgenehmigungsbehörden - Oberaufsicht“ strich das gesamte Verzeichnis und auch die Biographie. Wir waren hart im Nehmen und nahmen's hin. Hauptsache war die Ausstellung.

Werner Schmidt, Kupferschmidt, aus Dresden, hatte einen informativen und intuitiven Beitrag geschrieben, der so endete: „Durch die Entwicklung, die der VIII. Parteitag der SED einleitete, trat seine Bedeutung (die Altenbourgs; P. S.) im kulturellen Geschehen unseres Landes hervor und sein charaktervolles Werk erweist sich als Bereicherung, Anregung und Ansporn - auch im Widerspruch.“ (Katalog Gerhard Altenbourg - Holzschnitte, Glauchau 1976) So schrieb man damals.

Die nächste Hürde war von lächerlich geringen Ausmaßen und gerade deshalb schwer zu nehmen.

Der Kreisschulrat war von oberen Stellen verdonnert worden, eine Austellung von Kinderzeichnungen zu organisieren. Dazwischen sollte dann immer mal ein Blatt von Altenbourg hängen dürfen können oder auch nicht.

Abgelehnt.

Wir machen weiter wie vorgenommen.

Malermeister Schulz wird verpflichtet, die Räume so zu streichen, wie G. A. das für richtig hält.

Wißt ihr noch, die ihr damals dabei wart, welches Fest wir uns machten?

Der Meister der Kunst sagte dem Meister des Handwerks, wie's werden sollte, und der machte und zwinkerte mir manchmal zu und sagte: „So englischrot, wie der's will, musses ja nu nich sein.“ Und panschte die Farbe um einen Schein heller und Altenbourg krähte „schööön“ und alle waren's zufrieden.

Dann eines Tages, wenig vor der geplanten Eröffnung, die Hiobsbotschaft: Die Ausstellung ist verboten!

Ernst Kreitlow wird zu Herrn Schl. vom Rat des Bezirkes befohlen.

„Hast du dir die Sauereien von dem Mann angesehen?“ Er läßt sich einen Westkatalog bringen. (Wo er den wohl her hat?)

„Da“, sagt Her Schl. Unter einer Abbildung steht ein Herr Schl. irritierender Titel: Beim Ficken.

Aber Ernst läßt sich nicht beirren. Er ist kein Befehlsempänger. Er wird nicht freiwillig weichen.

„Mich müßt ihr rausschmeißen“, sagt er, und das wiederum ist nicht ganz einfach. Noch nicht.

Am nächsten Tag wird überall dementiert, daß die Ausstellung jemals verboten gewesen sein soll. Ach wo!

Aber die Kataloge. Die werden zu 75 Prozent vom Rat des Bezirkes aufgekauft und sicher deponiert. (Es wird gemunkel, ein Teil davon liege immer noch unter dem Dach eines Amtshauses in Karl-Marx-Stadt.)

Die Ausstellung wird am 22. Februar 1976 eröffnet. Großer Bahnhof für Gerhard Altenbourg, er im Smoking, glücklich, wir alle mit ihm. Ich sehe Fritz Löffler, den greisen Kunstwissenschaftler aus Dresden, Hans Conon von der Gabelentz, Direktor des Lindenaumuseums Altenburg, viele Bekannte und Unbekannte.

Lothar Lang spricht, Werner Schmidt kann leider, leider nicht kommen, schade. Robert Rehfeld hat ein Telegramm geschickt, das nicht ankommt, von dem wir aber erfahren. Einer meiner Freunde, beim Bundesvorstand des Kulturbundes in Berlin tätig, wird hinterher angezählt werden, weil er auch da war, und das könnte ja gewissermaßen als offiziell angesehen werden. Richtige, wirkliche Offizielle sind nicht anwesend. Leute, die es sich sonst zur höchsten Ehre anrechnen, jede Hundehochzeit zu hofieren, schneiden ein künstlerisches Ereignis von internationalem Rang. Dabei auch viele, die heute so tun, als hätten sie ihre Häuser dem Künstler Altenbourg in der DDR schon immer offengehalten.

Annegret Janda schreibt in 'Neue Zeit‘ vom Montag, 29. März 1976: „Diese Ausstellung ist eine Premiere, nicht nur für die Freunde Altenbourgs, sondern auch für den Künstler selbst, der noch nie einen so umfangreichen Überblick über seine Arbeiten haben konnte. Gemessen an seinem Gesamtwerk ist sie jedoch nicht mehr als eine Kostprobe, die Spitze eines Eisbergs sozusagen, dessen wirkliche Ausmaße noch nicht sichtbar sind. Uns bleibt die Hoffnung, daß wir in nicht allzu ferner Zukunft mehr von den wundervollen Gestaltungen Altenbourgs sehen können.“

Am 30. Dezember 1989, im Jahr der Oktoberrevolution in der DDR, ist Gerhard Altenbourg, dreiundsechzigjährig, den Folgen eines Unfalls erlegen.

Am 12. Januar 1990 wurde er in Altenburg beigesetzt.

Notwendiger Nachtrag: Günter Ullmann wurde im Mai 1976 als Direktor des Museums und der Kunstsammlung fristlos entlassen.

Ernst Kreitlow wurde von seinem Amt als Leiter der Abteilung Kultur im Januar 1977 entfernt und in die Kreisbibliothek versetzt.

Ich wurde gemeinsam mit Günter Ullmann im Mai 1977 in U -Haft auf dem Kaßberg, Karl-Marx-Stadt, genommen.

G. U. lebt heute in der BRD, ich war acht Jahre auf dem Bau und bin heute Maler und Graphiker in Niederschindmaas bei Glauchau.

Zweiter Nachtrag: Wir sind jetzt gerade dabei, eine kleine Kabinett-Ausstellung, diesmal im Schloß Forderglauchau zu machen. (Das F bei Forderglauchau ist richtig, so ist das nun mal in Glauchau.)

Dabei sind Ernst Kreitlow, Johannes Feige, ich und neue, junge Leute. Wir möchten gern einige Klischees unseres Katalogs von 1976 benutzen. Auf Anfrage in der Druckerei wird uns mitgeteilt, dieselben seien 1976 von der Polizei in Arrest genommen worden. Wo mögen sie jetzt sein? Da sind wir alle ja nochmal gut weggekommen - die Druckstöcke sitzen ja jetzt schon 14 Jahre.

Peter Schönhoff