Mafialand Bundesrepublik

■ Werner Raiths „Mafia: Ziel Deutschland“

Von einer sorglosen Öffentlichkeit unbeachtet ist die Mafia dabei, auch die Bundesrepublik zu durchdringen, behauptet Werner Raith in seinem neuem Buch. Er kann es wissen, denn kaum einer kennt das organisierte Verbrechen Italiens so gut wie er. Und die entsprechenden deutschen Probleme sind ihm aus kompetenter zweiter Hand vertraut. Als Mafia-Experte hat er vielen deutschen Kriminalisten Nachhilfeunterricht gegeben und dabei deren Besorgnissen und Frustrationen kennengelernt.

Schon jetzt vagabundiert kriminelles Kapital über die Grenzen und wird dabei so weiß gewaschen wie der Stoff, mit dem er verdient wurde. Scheinbar lupenreine Unternehmen, die der Börsenaufsicht unterstehen, werden von Firmen unterwandert, die alles andere als lupenrein sind. Aber mafiose Kriminalität funktioniert nur, wenn sie Stützpunkte in den Machtapparaten hat. Dort aber sind die geeigneten Formalitäten längst normal. Polizisten und Staatsanwälte werden versetzt oder gemaßregelt, wenn sie in Fällen ermitteln, in welche potente Geschäftsleute oder einflußreiche Politiker verwickelt sind. Akten verschwinden in behördlichen Reißwölfen, Beweisstücke in Panzerschränken; das Siegel des Staatsgeheimnisses dient zur Verdeckung illegaler Geschäfte, von Korruption oder Amtsmißbrauch; die Gedächtnislücke wird wichtigster Unschuldsbeweis von Personen, die sich sonst an vieles erinnern. Steuerhinterziehung, die ein gewisses Maß erreicht, oder die systematische „Pflege der politischen Landschaft“ mittels Scheckbuch wird zum Kavaliersdelikt. Der Hinweis, daß all dies mafiose Methoden sind, ist vielleicht überraschend, aber erhellend. Daß eine Sparkasse Polizisten und Journalisten zur Vergnügungsreise nach Rom einlädt, leuchtet jedem Mafioso ein. Er weiß, daß es darauf ankommt, sich Freunde zu machen. Raith sieht hier einen Verfall der politischen Kultur.

Italien habe, was die mafiose Durchdringung angeht, einen Vorsprung von nur zwei Jahrezehnten. Diesen Vorsprung habe es aber auch in seiner juristischen und moralischen Sensibilisierung. Sie soll auch hierzulande vorbildlich werden. Man müsse ja nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Leider sei das Unrechtsbewußtsein stumpf und der allgemein verbreitete Glaube an die Effizienz und Unbestechlichkeit der Behörden aberwitzig. Für den Normalbürger scheine sich die organisierte Kriminalität auf Gastwirte, die Betreiber von Vergnügungslokalen, Pizzabäcker, Autoschieber, Ausländer, Junkies usw. zu beschränken. Aber die sich mit den Machtstrukturen verfilzende Mafia ist kein Thema für Sozialarbeiter, denn sie beherrscht nicht nur die Randzonen, sie greift nach dem Zentrum.

Entsprechend sollen Rechtsvorschriften geändert und neue Straftatbestände eingeführt werden. Dazu zählen nicht nur Isolationshaft für mafiaverdächtige Untersuchungshäftlinge, eine Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses oder eine Erweiterung der Kompetenzen von Staatsanwälten. Dazu zählt vor allem der Zugriff auf das Geld. Die Bundesrepublik ist das einzige Land Westeuropas, das Geldwaschen nicht unter Strafe stellt; sie hat bislang alle entsprechenden italienischen Forderungen abgeblockt. Richtig wäre es nach Raith, wie in Italien bei verdächtigem Reichtum die Beweislast umzukehren. Könne seine Legalität nicht nachgewiesen werden, sei es zu konfiszieren. Solange der Staat die Illegalität beweisen muß, was ihm fast immer unmöglich ist, habe die Mafia freie Hand.

Schließlich müsse, wie im italienischen Antimafiagesetz von 1982, die mafiose Einflußnahme strafrechtlich faßbar gemacht werden. Folgendes ließe sich dann erstmals ahnden: Jemand wird tagelang von einem Auto verfolgt, in dem drei kräftige Männer sitzen. Vor allem wenn die Herren angeben, sie wollten den Verfolgten vor Unbill schützen, ist bislang alles in Ordnung. Ebenso legal ist es, wenn eine größere Gruppe von Personen in einem Restaurant alle Plätze besetzt und dort bei je einem Glas Selters den Tag verbringt. Das darf sie solange wiederholen, bis der Kneipier finanziell in die Knie geht. In Italien hingegen kann die Justiz schon aktiv werden, bevor jemand ausdrücklich mit dem Tod bedroht wird. Schon wer sich nicht offen krimineller Einflußnahmen bedient, um sachfremde Entscheidungen herbeizuführen, gilt als Mafioso. Auch die speziellen Freundschaften geraten damit in die Zone der Kriminalität.

Wird hier nicht der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben? Daß viele seiner Vorschläge gerade hierzulande Besorgnisse vor politischem Mißbrauch wecken werden, sieht auch Raith. Bei vielen Machtträgern sieht er allerdings auch die Furcht, die eigenen Machenschaften oder Sponsorenbeziehungen könnten bekannt werden. Aber es geht Raith ausdrücklich um eine Stärkung des Rechtsstaates. Deren Gelingen aber setzt eine moralische Sensibilisierung des Publikums voraus, das Druck aushalten und Gegendruck organisieren muß. Nur dann werde es möglich, daß Politik, Justiz und Polizei auch Zerfallserscheinungen in den eigenen Reihen bekämpfen. Noch sei es hierzulande undenkbar, daß Bürgermeister oder ganze Stadtratsfraktionen hinter Gitter kommen, wie in Bari oder Catania.

Vielleicht überschätzt Raith den Verfall und übersieht Kontinuitäten. Korrupte deutsche Politiker hat es immer in ausreichender Masse gegeben. Wer überdies, anders als Raith, gegenwärtig nur wenig Vertrauen in die Mobilisierungsfähigkeit eines demokratischen Bewußtseins setzt, sieht sich zwischen den Perspektiven eines wuchernden Polizeistaats und eines wuchernden Mafiastaats eingeklemmt. Schließlich werden normalerweise Schutzmaßnahmen erst nach der Katastrophe in die Wege geleitet.

Die Thesen Raiths könnten Kontroversen auslösen, eine Einschätzung der Situation klären helfen. Das Problem ist eindrücklich und materialreich genug dargestellt. Das ganze Buch ist prall mit neuen Informationen über mafiose und antimafiose Entwicklungen in Italien und der Bundesrepublik angefüllt. Zu seiner Unentbehrlichkeit trägt auch ein umfangreicher Dokumentenanhang bei.

Erhard Stölting

Werner Raith: Mafia: Ziel Deutschland. Vom Verfall der politischen Kultur zur Organisierten Kriminalität. Kösler Verlag, 299 Seiten, 29,80 DM