Todesfasten in Spanien

Auch nach 72 Tagen Grapo-Hungerstreik bleibt die Regierung stur / Ärzte prognostizieren irreversible Schäden  ■  Aus Madrid Antje Bauer

„Elf Jahre lang war mein Sohn im Knast, und die ganze Zeit konnte ich ihm nicht einen einzigen Kuß geben. Zwischen uns Gitter und Glasscheiben. Wenn er Besuch bekam, wenn er duschen wollte, wenn er Hofgang hatte, mußte er sich jedesmal nackt ausziehen. Viele Gefangene hatten keine Bücher, durften keine Besuche und keine Post empfangen und saßen 24 Stunden am Tag allein in der Zelle. Das ist doch kein Leben!“ Dolores Munoz sind die Tränen in die Augen gestiegen.

Seit 72 Tagen ist ihr Sohn Manuel Parodi Monoz gemeinsam mit 46 weiteren Gefangenen der Untergrundorganisation Grapo und der Partei PCE(r) im Hungerstreik. Manuel Parodi, 1,78 Meter groß, wiegt nur noch 48 Kilogramm. Die Gefangenen sind zu Skeletten abgemagert, viele haben Magengeschwüre, einige haben Herzanfälle erlitten, die Nieren versagen.

In die kleine Empfangshalle des Roten Kreuzes in Madrid, in der sich seit Dezember protestierende Angehörige der Gefangenen Tag und Nacht aufhalten, kommt eine junge Frau gelaufen. „Was ich heute erlebt habe, vergesse ich nie“, sagt sie. Während des Besuchs bei ihrem Verlobten, dem Gefangenen Leoncio Calcerrada, habe dieser plötzlich mit offenen Augen dagelegen und nicht mehr reagiert. Schon vorher sei es ihm ziemlich schlecht gegangen: Er sei gelähmt, und die Ärzte befürchten, daß diese Lähmung dauerhaft sein wird. Auch bestehe die Gefahr eines Nierenversagens.

Der Zustand der Gefangenen hat sich in den letzten Wochen dramatisch verschlechtert. Zwar sind alle bei Bewußtsein, doch die schweren Gesundheitsstörungen treten immer häufiger auf. Ärzte warnen, die Schäden seien vermutlich größtenteils irreversibel. Wenn sich der Zustand der Hungerstreikenden verschlechtert, werden sie aus dem Knast ins Krankenhaus verlegt und dort, sowie sie ihr Bewußtsein verlieren, künstlich ernährt. Wieder zu sich gekommen, reißen sie die Schläuche aus den Venen und werden erneut in den Knast verlegt.

Die auf 15 spanische Knäste verteilten Häftlinge fordern eine Zusammenlegung, die ihnen nach Angaben der Angehörigen im September letzten Jahres von der Regierung versprochen, jedoch nicht umgesetzt worden war.

Die Regierung stellt sich stur: Die Grapos hätten, solange sie in Gruppen einsaßen, aus dem Knast eine Schule der Delinquenz gemacht. „Die Regierung will die Grapo bis 1992 ausschalten“, vermutet Carmen Fornieles, Mutter von Leoncio. „Sie will, daß die Kämpfer bis dahin entweder tot sind oder zumindest aktionsunfähig, wenn hier die Olympiade und die Weltausstellung beginnen.“

Die öffentliche Unterstützung für den Hungerstreik ist mager. Das Linksbündnis Izquierda Unida hat eine parlamentarische Anfrage gestellt, der Rest der Parteien hält sich vornehm zurück. Die Frage der Zwangsernährung wird hier jedoch heftiger diskutiert als in der Bundesrepublik. Viele Gerichte untersagen die Zwangsernährung, einige gestatten sie, wenn der Gefangene das Bewußtsein verloren hat, wieder andere überlassen die Entscheidung den Ärzten. Die Hoffnung auf ein Nachgeben der Regierung ist gering. „Ende dieses Monats wird der erste sterben und danach in schneller Folge die anderen“, prognostiziert Dolores Munoz.