Die Großgrundbesitzer lauern schon

■ Die Angst geht um in der DDR: Tausende von West-Besitzern wollen ihre Ost-Immobilien wiederhaben

Insgesamt rund eine Million Haus- und Grundeigentümer aus dem Westen haben, juristisch gesehen, keine schlechten Chancen, ihren früheren Besitz in der DDR wiederzuerlangen. Die Bundesregierung hängt das Thema tief, denn es könnte die Freude der DDR-Bürger über die kommende Wiedervereinigung mehr als trüben. Auch die Mieter in der DDR zittern - oder werden aktiv: ein DDR-weiter Mieterbund wurde in Ost-Berlin gegründet.

Sie kommen aus Recklingshausen oder Starnberg, Castrop -Rauxel oder Helmstedt und pirschen mit dem Audi 100 und dem BMW durch die DDR. Ihre Neugierde gilt nicht einem bisher fremden Land, sondern ganz konkret ihrem Land: dem vor Jahren zurückgelassenen Waldgrundstück in Seenähe oder dem Häuschen von Erbtante Käthe. Tausende von Haus- und Grundbesitzern aus der Bundesrepublik und West-Berlin sind zur Zeit dabei, ihre meist längst abgeschriebenen Immobilien in der DDR wieder in Besitz zu nehmen oder zumindest schon einmal zu inspizieren.

Auf rund eine Million schätzt Hermann-Josef Rodenbach, Rechtsexperte beim Gesamtdeutschen Institut des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, die Zahl der Haus- und Grundeigentümer aus dem Westen. Viele von ihnen sind noch als rechtmäßige Besitzer in den DDR -Grundbüchern eingetragen und könnten mit guten Erfolgschancen ihre Besitzrechte einfordern (siehe Kasten).

Politischer Zündstoff

Beim Gesamtdeutschen Institut sind allein im Januar rund 3.000 schriftliche und mündliche Anfragen von Immobilienbesitzern aus dem Westen eingegangen und die Telefone laufen heiß. „Das ist eine gewaltige Dimension, hinter der nicht nur Millardenwerte stecken, sondern auch reichlich politischer Zündstoff“, meint Regierungsrat Rodenbach. Und das, so argwöhnt er, könnte auch der Grund sein, warum die Bundesregierung dieses Thema zur Zeit „nicht so hoch hängt“ und eine am 5. Januar erstmals zusammengetretene deutsch-deutsche Expertenkommission über „offene Vermögensfragen“ bisher nicht an die Öffentlichkeit getreten ist.

„Das wird gewaltige Verschiebungen geben“, meint Rodenbach, „und wenn das jetzt politisch hochkommt, werden bei vielen Menschen in der DDR verständliche Ängste vor der Wiedervereinigung hochkommen.“

Zur Familie Matz in der Köpenicker Ahornallee ist die Wiedervereinigung schon am Mittwoch dieser Woche gekommen. Am Vormittag stand plötzlich ein dicker Personenkraftwagen mit westdeutschem Kennzeichen auf dem Grundstück des Dreifamilienhauses. Ein bis dahin unbekannter Herr betrat das Haus und erklärte den verdutzten Mietern: „Dies ist jetzt meins. Sie müssen raus!“

Im Nachbarbezirk Schmöckwitz erschien ein ehemaliger Eigentümer gleich mit Videokamera auf seinem nun unerwartet in Griffweite geratenen Anwesen und verlangte barsch, die jetzigen Nutzer möchten doch gefälligst aus dem Bild gehen, wenn er mit der Kamera über das Wassergrundstück schwenke.

Täglich rufen verunsicherte

Mieter an

Mehr als hundert solcher Begebenheiten bekommt Cornelia Krüger, Fachfrau für die „Bewirtschaftung ausländischen Eigentums“ bei der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) Köpenick, allwöchentlich in der Mieterberatung zu hören. 2.000 Grundstücke und Häuser von „Westlern“ verwaltet die KWV allein im Ostberliner Bezirk Köpenick, und täglich rufen dort verunsicherte Mieter an, die „schon Kontakt mit ihrem bisher unbekannten Vermieter hatten“.

Sicher, schränkt Wohnungsverwalterin Krüger ein, es gäbe auch nette West-Eigentümer, die höflich bei der KWV anfragten, ob sie denn mal ihr Häuschen besichtigen dürften. Und schließlich wisse man auch von Fällen, wo sich die Besitzer eines Wochenendgrundstück aus Berlin-West längst gütlich mit den langjährigen Datscheneigentümern aus Berlin -Ost über eine halbe-halbe Nutzung geeinigt haben. Dennoch schüren naßforsche Immobilieneigentümer immer wieder die Angst, so daß sich vor zwei Tagen Ost-Berlins stellvertretende Oberbürgermeisterin Zagrodnik und West -Berlins Finanzsenator Meisner zu einem gemeinsamen Appell veranlaßt sahen: Westhausbesitzer sollten doch bitteschön die Mieter unbehelligt lassen und sich mit ihrem Ansinnen an den Magistrat der Stadt und die Behörden wenden.

Noch sind die Mieter

geschützt

„Ich kann den Leuten immer wieder nur raten: so schnell kriegen euch auch Westbesitzer nicht raus“, berichtet Wohnungsverwalterin Krüger, „denn noch gelten schließlich die Gesetze der DDR“. Und die sind für Mieter vergleichsweise paradiesisch. Auch wenn bei einer Wiedervereinigung das bundesdeutsche Mietrecht der DDR übergestülpt werden sollte, stünden die jetzigen Nutzer von „Westimmobilien“ nicht völlig schutzlos da.

So mir nichts dir nichts auf die Straße setzen könnten die neuen alten Eigentümer die Mieter auch nicht. „Erst in Kombination mit der Einführung der freien Marktwirtschaft in der DDR wird die Situation brisant“ urteilt denn auch der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes in Köln.

Freie Marktwirtschaft - das wird für die Mieter von „West -Häusern“ besonders drastische Mieterhöhungen bedeuten. Das Gros der Häuser ist stark renovierungsbedürftig, und diese Investitionen werden die Eigentümer kaum aus den bisher geltenden Mieteinnahmen von einer Mark pro Quadratmeter bestreiten können und wollen.

Noch problematischer als für die Mieter von Westhäusern dürfte die nahende Wiedervereinigung für die Nutzer von Westgrundstücken werden. Viele von ihnen haben schon vor zwanzig, dreißig Jahren ein unter staatliche Verwaltung gestelltes Grundstück zugeteilt bekommen. In mühsamer Eigenarbeit haben sie darauf ein Einfamilienhäuschen gebaut. Und nun soll alles umsonst gewesen sein?

„Bevor die mich aus meinem Haus rausschmeißen, halt ich da ein Streichholz ran“, hört Wohnungsverwalterin Krüger immer wieder. Raten kann sie jedoch nur: „Bleiben Sie drin bis zum letzten Moment“. Juristisch ist jedoch die Lage gerade in diesem Bereich völlig ungeklärt.

Ebenfalls ungeklärt und ungleich brisanter ist noch ein anderes Feld der - wie es vornehm heißt - „offenen Vermögensfragen“: das Besitzrecht an enteignetem Firmen- und Großgrundbesitz in der DDR.

Großindustrie stellt

Ansprüche in Billionenhöhe

„Sparkassen, Banken, Versicherungen und Großindustrie kümmern sich plötzlich wieder um ihren früheren Besitz. Was da zur Zeit bei uns an Anfragen eingeht, ist schier unglaublich“, registriert Jurist Rodenbach vom Gesamtdeuschen Institut. Rückerstattungsansprüche in Billionenhöhe stehen zwar auf dem Plan, sind aber noch kein Verhandlungsthema. Und das, so mutmaßt Rodenbach, „hat wohl politische Gründe. Das wird auf den Tag X verschoben. Sonst würde es für zuviel Unruhe sorgen.“

Vera Gaserow