Eine Meinungsbildung findet nicht statt

■ Bremer Sozialdemokraten haben wichtigeres zu tun als Deutschland-Debatten

Zur besten Derrick-Zeit Deutschlandpolitisches diskutieren das lassen auch Bremens SozialdemokratInnen nun beim besten Willen nicht antun. Wenn Horst Tappert den Mörder faßt hat die Partei - Wiedervereinigung hin, Übersiedler-Zustrom her

-bei Bremens Genossen Sendepause.

Zumal eine heimliche Mehrheit sich auch in einem anderen Punkt sicher ist: Die Entwicklung drüben geht eh so schnell, daß man mit dem Genossenkopf gar nicht mehr hinterher kommt: Was man als Sozialdemokrat morgen so denkt, ist sowieso gestern schon überholt. Warum also überhaupt mit dem Denken anfangen?

Insofern kann als weise Voraussicht gelten, daß der SPD -Unterbezirksvorstand im Bremer Osten beschloß, für den den gestrigen Abend etwas anders zu disponieren, als die Parteibasis ihm noch im Januar aufgetragen hatte. Statt einer ursprünglich angesetzten Deutschland-Debatte der Delegierten plante der UB-Vorstand lieber Feierabend. Also: Nichts. Lediglich einigen Ortsvereinsvorsitzenden mochte der UB-Vorstand eine deutschlandpolitische Diskussion zumuten.

Neben der Rücksicht auf Freizeitgewohnheiten dürften aber auch andere Gründe für den eigenmächtig abgesagten Parteitag eine Rolle gespielt haben: Angst vor seinen Ergebnissen. Immerhin standen in einem Grundsatzpapier Sätze wie: „Von einem Sieg des Kapitalismus über die Idee des Sozialismus kann nicht die Rede sein. Solange ... die undemokratische Kapitalmacht besteht, bleiben Kapitalismuskritik und der Kampf für einen demokratischen Sozialismus erforderlich.“ Und: „Wir wollen nicht die Wiedererstehung eines isolierten, für sich alleinstehenden Nationalstaats.“ Daß ihm die möglichen Resultate möglicherweise „unzeitgemäß“ erschienen, sagte der UB-Vorstand allerdings nicht, als er den geplanten Parteitag vorerst „vergaß“. Stattdessen mußten ein paar abwesende Rostocker Genossen als Begründung der ausgefallenen Meinungsbildung herhalten. Ob sie nachgeholt wird, ist fraglich. Erst kommen jetzt die Wahlen in der DDR, dann Osterferien, dann ein Bundestagswahl-Parteitag, dann Sommerferien. Vielleicht schaffens die Bremer Genossen ja kurz nach der Wiedervereinigung, auszudiskutieren, warum sie eigentlich dagegengewesen wären.

Rosi Roland