„K.W. in den Osten“ - in eigener Sache

taz-intern: Kann man auf unbestimmte Zeit aus der taz-Bremen aussteigen? / Auf einem gepackten Koffer  ■  Von Klaus Wolschner

Die taz ist eine wunderbare Zeitung. Sie frißt einen ganz. Als ich im Januar 1984 nach Bremen kam, wollte ich dem Apparat der taz-Zentrale in Berlin-West entfliehen, wollte in einer kleineren, überschaubaren (aber dennoch Groß-) Stadt Reporter werden, wollte Zeit zum Lesen dicker Bücher haben und eine 40-Stunden-Woche.

Daß das anders kam, bin ich selbst schuld. Diese Idylle schien nichts für mich zu sein. Im April 1985 schon begann das Projekt Bremer Lokal-taz mit zunächst 4 Seiten jeden Freitag, das bedeutete - bei einem „Hauptamtlichen“ - vier Tage 14 Stunden Arbeit.

Im Oktober 1986 wurde aus dem einen Redakteur eine Redaktion, die täglich eine taz-Bremen produziert. In einer Hochparterren-Wohnung machen wir diese Lokalseiten, mit einem Drittel an Personal verglichen mit anderen, gemächlichen Organen, mit einem Drittel des Arbeitslohnes, der bei der Konkurrenz üblich ist,

und mit dreifachen Ansprüchen, was das Ergebnis der eigenen Arbeit angeht. Eine verschworene Gemeinschaft also, eine Gruppen- identität, die es selbst im „taz-Konzern“ nirgendwo sonst gibt.

Die taz geht

in die DDR

Kann man eine solche Arbeitssituation verlassen? Unter normalen Umständen kann man nicht. Man kann nicht, dachte ich, bis ich in der vergangenen Woche in Berlin-West in der Zentrale der taz erfuhr, daß am Ende der nächsten Woche in Berlin-Ost Papier für 60.000 Exemplare und Druckmöglichkeit für eine DDR-taz bereitstehen. Diese DDR-taz wird an den großen Kiosken in der gesamten DDR zum Verkauf ausliegen, es wird die erste neue, parteiunabhängige, und sowieso die einzige täglich radikale Zeitung sein - eine riesige Chance für die politische Kultur dieser von der westlichen Warengesellschaft überschwemmten Rest-DDR also, eine große Chance für die taz.

Und da ja nun kein Weg daran

vorbeigehen wird, daß Berlin die Hauptstadt eines neuvereinten Deutschland wird, wollen wir dieser Stadt zumindest zu einer dicken, fetten, radikalen taz verhelfen die taz ist, Ironie der Geschichte, die einzige überregionale Tageszeitung mit Sitz in Berlin...

Einer geht ...

Aber die DDR-taz gibt es nur, wenn neben den DDR-Kollegen, die sie machen, von heut‘ auf morgen taz-erfahrene West'ler rübermachen, damit dort nicht nur irgendeine Zeitung im Namen der taz gemacht wird, sondern die taz. All mein Reden, daß man eine produktive und kooperative Redaktionsgruppe, wie sie in Bremen gewachsen ist, nicht verlassen kann, ist nur gegen mich verwandt worden. Also packe ich übermorgen meinen Koffer in der Gewißheit: In den Ost-West-Berliner Turbulenzen wird es einen derart schönen Arbeitszusammenhang nicht mehr geben. ... die tägliche, radikale Bremen-taz bleibt

Der eine oder die andere Bremer taz-LeserIn wird sich freuen. So der Pressesprecher, der mich vorgestern anrief und „zur Sau machen“ wollte, weil ich das verschwiegene Machtgeflecht zwischen Presse und Staatsmacht verletze und vertraulich gedachte Bemerkungen seines großen Senators einfach in die Zeitung schrieb. Ihm, der in der ersten täglichen Bremen-taz uns viel Erfolg wünschte, sei hier stellvertretend versichert: Die taz wird weiterhin ab und an gegen „Spielregeln“ verstoßen. Dies gehört nicht nur zum Stil der taz, es dient der Wahrheitsfindung.

Der eine oder die andere LeserIn wird es bedauern: Diejenigen, die den gestreßten Redakteur auf irgendeinem Fahrradweg anhielten, um ihm etwas zu „stecken“, um mich und damit die taz zu be

nutzen für ihre Informations -Interessen, um ihre Beschwerde über ungerechte Kommentare oder Berichterstattung loszuwerden. Oder die, die als Gesellschafter und Gesellschafterinnen sich auf den „Dienstältesten“ der Bremer taz'ler bezogen. Ohne sie

alle gäbe es diese Zeitung nicht. Ihnen muß ich zumuten, sich andere „Bezugspersonen“ in der Redaktion zu suchen, sie möchte ich bitten, dieses Projekt weiterhin mit Aufmerksamkeit und Kritik zu begleiten und, wenn nötig, zu unterstützen.