Islamische Strömungen in Berlin

■ Interview mit Christoph Elsas, evangelischer Pastor und Privatdozent für Religionsgeschichte an der FU: Elsas veröffentlichte Aufsätze zur Lage der Muslime in der Bundesrepublik und West-Berlin

taz: Bei den BerlinerInnen bestehen große Vorbehalte und Unkenntnisse gegenüber dem Islam bzw. den Muslimen. Wie stellt sich der Islam in Berlin dar?

Christoph Elsas: Durch die Affäre um Salman Rushdie, den Iran-Irak-Konflikt ist das Bild des Islam bei uns sehr einseitig geprägt. Auch die Berichte von islamischen Aufbrüchen in Afghanistan, zum Teil auch in der Türkei mit großtürkischen Bestrebungen, wecken Ängste.

In dieser Situation werden sehr schnell alte Bilder und Klischees der abendländischen Tradition aktiviert. Es ist unsere Aufgabe, an einem differenzierteren Bild des Islam zu arbeiten. Natürlich gibt es gefährliche Entwicklungen. Andererseits gibt es viele muslimische Gruppen, mit denen wir ohne größere Schwierigkeiten zusammenleben können.

Die in Berlin wirkenden islamischen Gruppen und Vereine werden sehr mißtrauisch beobachtet. Können Sie die einzelnen Gruppen und Strömungen skizzieren?

Zunächst sind da die Anhänger Camalettin Kaplans (der „Khomeini von Köln“, d. Red.). Es ist die am stärksten fundamentalistisch ausgeprägte Gruppe, und sie unterhält eine Moschee in Moabit. Ihnen geht es um die Verbindung von Islam und Politik nach dem Beispiel der iranischen Revolution. Das wird dann in der BRD und Berlin, obgleich die Situation eine völlig andere ist, versucht, bruchlos nachzuahmen. Dadurch wird ein Unruheherd geschaffen, der sehr schwer einzubinden ist. Anders als etwa in Nordrhein -Westfalen ist die Gruppe in Berlin zahlenmäßig nicht sehr groß.

Die wichtigste muslimische Vereinigung in Berlin ist die „Islamische Föderation“. Der 1980 gegründeten Dachorganisation werden mehr als zehn Moscheevereine zugerechnet. Von Kritikern wird der „Föderation“ immer wieder vorgehalten, sie sei von „Milli Görüs“ (Nationale Sicht), einem Auslandsabbieger von Necmettin Erbakans „Heilspartei“, die eine „Islamische Republik Türkei“ fordert, unterwandert.

In der Föderation sind sehr unterschiedliche Moscheevereinigungen zusammengeschlossen. Natürlich spielt „Milli Görüs“ eine gewisse Rolle. Dann gibt es aber Moscheen, denen es in erster Linie um religiöse Identität geht und die sich von der Föderation eine größere finanzielle Hilfe und eine organisatorische Verankerung versprechen.

Hauptanliegen der „Islamischen Föderation“ ist die gegenseitige logistische Hilfe. Die „Föderation“ ist die einzige muslimische Organisation in Berlin, die übernationale Gruppen zusammenschließt. Schon von daher gibt es die verschiedensten Strömungen. Die Iraner argumentieren anders als die Nordafrikaner oder die Türken. Gemeinsam ist allen, daß sie den Islam vom Wortsinn her ernst nehmen und panislamisch orientiert sind. Wichtig bei der Einschätzung der „Islamischen Föderation“ ist, daß sie seit einigen Jahren versuchen, eine islamische Identität für das muslimische Leben in Deutschland herauszubilden.

Es gibt ja nun eine Reihe jüngerer Leute und Erwachsener, die perfekt Deutsch sprechen, das Leben hier sehr gut kennen und trotzdem von ihren islamischen Grundgedanken nicht abgehen wollen. Sie suchen nach Wegen, ihren Glauben in die hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisse einzubauen. Es ist der Anfang einer eigenständigen westeuropäischen Entwicklung des Islam.

1982 wurde von der Religionsbehörde der Türkei die „Türkisch-Islamische Anstalt für Religion“, kurz DITIB, ins Leben gerufen. Eines ihrer Ziele war es, der „Islamischen Föderation“ das Wasser abzugraben. Für den Senat war DITIB, trotz Schwierigkeiten mit nationalistischen Inhalten in den Lehrbüchern, bisher immer liebster Verhandlungspartner, wenn es um die Belange der Muslime in Berlin ging. Wie schätzen Sie DITIB heute ein?

Vor einigen Jahren konnte man noch sagen, DITIB ist nationalkonservativ und vertritt eher die laizistische Linie.

Das hat sich in den letzten Jahren geändert, und DITIB hat sich mehr der „Islamischen Föderation“ angeglichen, allerdings mit einem Unterschied: Die „Föderation“ sucht nach einer islamischen Identität für das Leben in Deutschland. DITIB dagegen ist stark auf die Rückverbindung in die Türkei orientiert. Es wurden der DITIB Vorwürfe gemacht, die wohl auch nicht aus der Luft gegriffen sind, daß die Organisation inzwischen stark von sogenannten Fundamentalisten und Nationalisten unterwandert ist. Also von Anhängern Erbakans und dem früheren Führer der faschistischen „Grauen Wölfe“, dem Oberst Türkes. Sie sollen nun, nachdem die „Grauen Wölfe“ verboten wurden, in wichtigen Positionen des türkischen Staates und der Religionsbehörde sitzen.

Als fest organisierte Gruppe sind die „Grauen Wölfe“ in Berlin keine Gefahr mehr. Allerdings sind sie des öfteren an Moscheen von DITIB und den „Islamischen Kulturzentren“ angelagert, weil hier das nationalistische eine größere Rolle spielt als bei den Moscheen der „Islamischen Föderation“.Das Interview führte Eberhard Seidel-Pielen