Vom realexistierenden Schrottplatz

■ Jiri Menzels „Lerchen am Faden“

Jiri Menzels Film Lerchen am Faden, nach einer Erzählung von Bohumil Hrabal, war vermutlich noch nicht fertig, als die Zeit der Auferstehung des Kinos im Prager Frühling schon wieder zu Ende ging. Was filmische Wiedergabe eines gerade überwundenen Zustands sein sollte, war schon wieder Realität geworden: die Intellektuellen wurden wieder zu einfachen Hilfsarbeiterjobs verdonnert, die bürgerliche Kultur erneut bekämpft. Kein Wunder, daß Jiri Menzels Film sofort im Tresor verschwand.

Die Kamera, die einen Rundschwenk auf ein Fabrikgelände macht, dann langsam über einen Schrottplatz fliegt und die in ihm versteckten winzigen Menschen sucht, liebt gleichermaßen die bräunlichen Berge rostigen Metalls wie die braun ausstaffierten Arbeiter, eine Männer- und eine Frauengruppe. Menschen und Metall, farblich schon zu einer Einheit zusammengeschmolzen, sollen, wie der Vorarbeiter erklärt, zum Zweck des Aufbaus des Sozialismus in Edelstahl umgeschmolzen werden.

Er erläutert einem Filmemacher, der auf das Gelände gekommen ist, um einen Propagandafilm über den neuen Arbeiter zu drehen, was an diesen Menschen einschmelzenswert ist: die Intellektualität des Philosophieprofessors, die Bürgerlichkeit des Staatsanwalts, der Individualismus des Milchmanns, die Dekandenz des Friseurs und so fort. Dem korrespondieren auf der Dingebene die Schreibmaschinen und Kreuze, die die Arbeiter zum Einschmelzen in die Förderkarren werfen müssen. Die Mädchen, erklärt der Vorarbeiter weiter, die hier umerzogen werden müßten, seien Kriminelle, verurteilt aufgrund des Delikts der Republikflucht.

Weil der Milchmann bei den arrangierten Dreharbeiten eine freche Bemerkung macht, verschwindet er. Und die für die Filmszenerie aufgebauten Bäumchen und das Aquarium ebenfalls. Weil der Philosophieprofessor sich später nach dem Milchmann erkundigt, verschwindet er ebenfalls. Und zu guter letzt verschwindet der dritte, der Jüngste, am Tag seiner Hochzeit, weil er beim Besuch eines Inspektors nach dem Milchmann und nach dem Professor fragt.

Das einzige, was sich auf diesem Schrottplatz und in den einfachen Barackenunterkünften ereignen kann, ist eine Annäherung zwischen der Gruppe der Männer und Frauen. Seit der Aufseher eine Zigeunerin geheiratet hat und seine ersten Schwierigkeiten mit seiner ungewöhnlichen Frau hinter sich hat, ist er verständiger geworden und läßt Männer und Frauen am Feuer zum Händewärmen zusammenrücken. Ein nächtliches Stelldichein im Grenzstreifen zwischen Männer- und Frauenbaracke wird dagegen von Wachhabenden brutal unterbrochen.

Die Männer helfen sich über die Langeweile mit Gedichteschreiben, Kartenspielen und philosophischen Rekapitulationen hinweg: als der Philosophieprofessor von der Unerschütterlichkeit des Kantschen Moralgesetzes spricht, fällt er in eine Grube.

So lebt der Film hauptsächlich von kleinen tragikomischen Details, von der flüchtigen Berührung, von gelungenen Begegnungen. Der junge Arbeiter muß die Gefangene in Abwesenheit heiraten, und als sie endlich entlassen ist, sitzt er im Knast.

Melancholisch blickt die Kamera auf die vielen Verirrungen der Menschen und verurteilt nicht einmal den Vorarbeiter, wenn er seine Freizeit zu weiteren Umerziehungsprogrammen an Zigeunern benutzt und sich höchstpersönlich den Waschungen eines jungen Frauenkörpers widmet. Als gäbe es eine versöhnliche Rückkehr in den Schoß der Mutter Erde, sagt der Philosophieprofessor beim Einfahren in einen Schacht. und bei der zunehmenden Abnahme des Tageslichts, daß ein inneres Feuer seinen ganzen Haß aufgezehrt habe.

Michaela Ott

Lerchen am Faden, von Jiri Menzel, mit: Rudolf Hrusinsky, Vaclav Neckar, Leos Sucharipa, Jitka Zelenohorska, CSSR 1969, 100 Min.

17.2. Urania, Humboldt-Saal, 21.00 Uhr