Den Kopf verloren

■ 23jähriger Libanese vor Gericht / Er soll seinen Bruder mit 75 Messerstichen getötet haben, um sein Liebesverhältnis zu dessen Ehefrau fortsetzen zu können

War es kalte Berechnung oder Panik, die den 23jährigen Libanesen Majed A. in der Nacht vom 22. auf den 23. September vergangenen Jahres 75mal mit dem Messer auf seinen Bruder Fadi einstechen ließ? Mit dieser Frage muß sich seit gestern die 28. Strafkammer auseinandersetzten, vor der Majed A. wegen Mordes an seinem Bruder vor Gericht steht. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß der Angeklagte Majed seinen Bruder Fadi aus kalter Berechnung umbrachte, weil er sein Liebesverhältnis zu der Ehefrau des Getöteten ungestört fortsetzen wollte. Demgegenüber stellte Majed die Tat gestern als eine Panikreaktion dar: Nicht er habe Fadi mit dem Messer angriffen, sondern dieser ihn. Da habe er Fadi das Messer entrungen und „den Kopf verloren“.

Majed und sein vier Jahre älterer Bruder Fadi wuchsen zusammen mit elf Geschwistern im Libanon auf. Fadi ging 1982 nach Berlin. 1986 heiratete er hier die Studentin Sabine B., betreute Multiple-Sklerose-Patienten, besuchte das Studienkolleg und verdingte sich abends noch als Tellerwäscher. Der Angeklagte Majed kam eigenen Bekundungen zufolge im Frühjahr 1989 auf Anraten seiner Mutter nach Berlin, lebte in der Wohnung von Fadi und Sabine und wurde vom Bruder finanziell ausgehalten.

In der Folgezeit habe sich zwischen ihm und Sabine ein intimes Verhältnis entwickelt, daß anfänglich eher spaßhaft gewesen, dann aber „ernst“ geworden sei, sagte Majed gestern. Fadi sei schockiert und traurig gewesen, als er davon erfahren habe. Es sei zum Streit gekommen und er (Majed) habe die Wohnung verlassen müssen. Später, so Majed weiter, habe er von Sabine - beide setzten die Beziehung fort - erfahren, daß ihm Fadi nach dem Leben trachte. Fadi selbst habe bei einer Begegnung bestätigt, daß er „geschworen“ habe ihn (Majed) umzubringen. „Ich habe geantwortet, aber wir sind doch Brüder“.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß Majed derjenige war, der drei Messer bei sich hatte, als es nachts auf einem Spielplatz in Lichterfelde zu der Tat kam. Majed behauptete, daß Fadi die Messer mitgebracht habe: „Ich hatte nicht die Absicht ihn zu töten, ich bin sehr traurig“, beteuerte der Angeklagte. Der Staatsanwalt wollte wissen, ob es zuträfe, daß er sich nach der Tat in seiner Wohnung singend ausgezogen und mit seiner Schwägerin Sabine geschlafen habe. Daran, so Madjed, könne er sich nicht erinnern. Die 24jährige Sabine H. berief sich vor Gericht als Verwandte des Angeklagten auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Der Prozeß wird Dienstag fortgesetzt.

plu