Einmal Ashram u und zurück

■ Auf der Suche nach dem verlorenen Seelenheil gehen manche bis ins mythenumwobene Indien. Doch der lebenslange Weg des Ashram ist den westlichen Suchenden zu mühselig. Mit Reiseschecks und in vier Wochen wollen sie zu besitzlosen Wanderern, zu Sannyasins, werden.

Von

ALOKERANJAN DASGUPTA

Ich nehme an, die Inder sind einfach Menschen... (C.G. Jung)

s war bereits vor fünfzig Jahren, daß sich C.G. Jung, der in Indien hochangesehene Psychologe, herausnahm, in seinem Aufsatz Die träumende Welt Indiens diesen Aphorismus zu formulieren. Dort angekommen, fing er an zu träumen. Aber kaum zurückgekehrt, setzte er sich mit seinem phantastischen „Trugbild, gewoben aus flüchtigen Impressionen“, auseinander und brachte daran gesunde Korrekturen an. Es gelang ihm zu erfassen, daß der Inder der übrigen Menschheit ebenbürtig und deshalb auch normal sterblich sei. Wahrscheinlich ist es dieses undefinierbar Irdische, was Indien eine mystische Dimension verleiht.

Kürzlich stellte mir ein junger bengalischer Romancier, der mit Religion nicht das geringste am Hut hat, die Frage: „Welche andere Kultur oder mythologische Literatur war je imstande, zwei Millionen Götter und Göttinnen hervorzubringen? Sind nicht eben wir diese unzähligen Gottheiten und bringen dadurch die Demoskopen in Verlegenheit?“ Seine Frage war rhetorischer Natur. Zweifellos ist diese angesprochene Fülle berauschend. Sie verwirrt den westlichen Meinungsforscher. Er ist an geordnete und festgelegte, untereinander abgegrenzte Normen und Verhältnisse gewöhnt.

Die Grenzlinien indischer Kultur laden allerdings zur Überschreitung ein, denn Formen lösen sich dort auf, und sie verschmelzen wiederum, um in anderer Gestalt wiederzukehren und sich damit in Richtungen zu bewegen, die der Formalismus nie für möglich gehalten hätte. Alltag und Drama, Kultur und Anarchie, profane Triebregung und angestrebte Sublimierung vermischen sich da überschwenglich. Hier befindet sich die ganze Fruchtbarkeit in Unordnung, in der herrliche Widersprüche ein buntes Webmuster bilden. Nicht These und Antithese im Stile Hegels, sondern eine weitaus reichere Wahrnehmung schöpferischer Kräfte ist dort am Werk. Nicht starres Festhalten an bestimmten Ausdruckskategorien, sondern die Bereitschaft, miteinander umzugehen, wird gefordert: Wo Quintessenz und Erscheinungsbild, Körpersprache und Konversationsspiralen, Bewegung und Zäsur ständig gedeutet werden. Dabei wird die Diesseitigkeit des Säkularen hervorgehoben. Wer denkt, daß alles dithyrambisch erhaben ist, begeht einen tragischen Irrtum. Er vergißt, daß die Füße des Guru, die er umklammert, auch nur aus vergänglichem Ton sind; wenn sie zerbröckeln, fällt der unerfahrene Schüler haltlos ins Leere.

rotzdem gab es in den 60er und 70er Jahren Zugvögel aus Amerika und Europa, die bereit waren, das Risiko einzugehen, sich in der hindu-zen-tantrischen Welt zu verlieren. Das war ein beachtlicher Anfang. Damals hatten diese Pilger noch kein virulentes Guru-Syndrom entwickelt. Ihnen genügten ein paar Zufallsbegegnungen mit Bettelmönchen oder selbstnachsichtiger Haschischfetischismus harmloser Art, wie es bei Allen Ginsberg der Fall war. Sie hatten es satt, sich von der sich auf den Sonntagsgottesdienst stützenden dogmatischen Doxologie, die nichts Wesentliches mehr anzubieten hatte, an der Nase herumführen zu lassen. Diese Suchenden wußten, daß sie längst von einer Malaise affiziert waren, die Ordnung oder Wohlstand heißt. Sie suchten deswegen nach einer existentiell-essentiellen Psychotherapie. Im Laufe der Zeit landeten sie so bei den Bhagwans und Maharishis, Lamas und Rinpoches, Roshis und Schamanen des Ostens. Es war nichts anderes als ein kathartischer Hang, der sie im Orient zu Meta-Asylanten machte.

Man darf sie nicht, wie Shirley McLaine, die einst charmante, aber nun etwas müde gewordene Mutter der New-Age -Bewegung, einfach als „Hippy-Dippies“ abtun. Suchte sie nicht selbst einmal Heilung in Indien und konstatierte dabei abstrus: „Seit Gott Krishna auf jenen Erdteil trat, sind die Inder so determiniert, daß alles, was sie tun oder nicht tun, mit ihrem spirituellen Wesen zu tun hat“? Ein anderes, jedoch frustrierendes Beispiel ist Günter Grass, der nichts Besseres weiß, als die penetrante Religiosität der Inder zu verspotten, und dennoch, wie bekannt, aus rein kathartischen Gründen die Flucht nach Kalkutta wählte. Auch er rechnete dort - weit weg vom Euro-Schlamassel - mit einer seelischen Läuterung.

a, die Diagnose lautet hier Katharsis. Und natürlich nutzen Scharlatane die entstandene Marktlücke aus. Der opportunistischste dieser Spezies war wohl Rajneesh, dessen Tod sein raffiniertes Lebenswerk in absehbarer Zeit sicher nicht verschwinden läßt. Sein okkultischer Firlefanz basiert(e) auf einem ausgetüftelten, auf kultische Reinigung abzielenden Lehrplan mit Trans-(E)migration, Rudimentärsein, Rajneesh Dynamic Bodywork, Bodybewußtsein usw. Ergänzt wird das Ganze durch den Einsatz einer 48stündigen Marathonmeditation durch Nutzen von Bioenergetik, Gestaltungs- und Tanzbesinnung und, last not least, mit Hypnotherapie.

Es sei hier bemerkt, daß der Einsatz seiner hypnotherapeutischen Praktiken an die Kurztherapien von Erickson, Haley und Watzlawick (der wurde übrigens im Jung -Institut, Zürich, ausgebildet) angelehnt sind. Nach diesem Brainstorming wird der nagelneue Novize zum Sannyasin geweiht. Diese Metamorphose kann in einem vierwöchigen Urlaub erreicht werden!

Ich kenne keinen einzigen Inder, der sich mit dieser Manöver-Erlösung einverstanden erklären kann. Der archetypische Asket, der seit Jahrtausenden unter denkbar einfachsten Bedingungen in Höhlen des Himalayagebietes sein Leben dem Höheren widmet, ist absolut publicityscheu und bedauert die schamlose Vermarktung Indiens zutiefst, steht aber dieser Geldmacherei machtlos gegenüber. Was ihn aber noch mehr schockiert, ist die skrupellose Begriffsbeugung, die seine Scheinnamensvettern betreiben.

in 90jähriger Mönch aus dem sprichwörtlich gewordenen Sevashram Sangha (dienender Eremitenbund), dessen Lebensinhalt es ist, den Ärmsten der Armen in ihrer Not beizustehen, zitterte vor Empörung, als er sich hilflos beklagte. Der Greis hat recht. Nehmen wir hier zum Beispiel einmal den Begriff Sannyasin aufs Korn: Die Vorstellung Ashram beinhaltet nach den Urschriften die vier Stadien im Leben eines Hindu. Wobei er nach seiner Kindheit als Brahmachari (Zölibat) im Wald der Übungen (Ashram/Tapovan) bei einem Guru die Veden kennenlernt; dann kehrt er als Grihstha (Verheirateter) zurück; als 50jähriger soll er sein Haus wieder verlassen und das Leben eines Eremiten (Brahmachari) führen. Erst im hohen Alter zieht er sich als Sannyasin (besitzloser Wanderer) zurück. Wenn man diesen detaillierten Hintergrund kennt, begreift man, wie kalkuliert es ist, den WestlerInnen den Scheintitel Sannyasin Hals über Kopf aufzudrücken.

Auch der Terminus Yoga erfährt eine Manipulation. Im eigentlichen Sinne fordert der Gott der Yogalehre seine Verehrer nicht zu persönlicher Kontaktsuche heraus. Er verlangt vielmehr von ihnen, daß sie ein Leben lang die achtfachen asketischen Übungen (z.B. Selbstkontrolle in ruhiger Sitzstellung, Atembeherrschung, Entbehrung jeder Art, Konzentrationstraining usw.) durchführen. Aber die Yogis einer im Westen sehr verbreiteten Gesellschaft meinen, diese Prinzipien „sind für Menschen bestimmt, die zu sehr der körperlichen Auffassung vom Leben verhaftet sind. Der intelligente Mensch aber, der sich im Krishna-Bewußtsein befindet, hält die Sinne nicht gewaltsam davon zurück, im Interesse Krishnas zu handeln.“ Ist es das Interesse von Gott Krishna? Oder ist es nicht doch das Interesse dieser Ashramiten? Hier eine Antwort zu finden, ist nicht schwer. Es ist der Intelligenz dieser Kulternisten zuzuschreiben, daß sie im Westen wie auch im Osten recht bequeme Eremitagen errichten können. Im westbengalischen Mayapur in der Nähe des Geburtsortes von Chaitanya (1486-1533), dem bedeutendsten vishnuitischen Reformator, haben die Anhänger von ISKCON (International Society for Krishna Consciousness) eine pompöse Siedlung gebaut, welche von den reichlich fließenden Auslandsdevisen getragen wird. Hier machen die Geldgeber Urlaub. Die Einheimischen halten diese Prachtschau für neokolonisatorisch.

ine recht ähnliche Gruppierung steinreicher Menschen (zu ihnen gehören auch deutsche Zahnärzte) gehen noch ein Stück weiter. Sie geben sich mit der herkömmlichen Naturheilkunde Indiens nicht zufrieden und haben ein esoterisch-exotisches Potpourrie namens Maharishi-Ayur-Veda produziert. Schwerpunkte dieser Allheilmethode sind: Ernährungsberatung, Aromatherapie, Verjüngungs- und Schlankheitskuren, Streßabbau durch transzendentale Meditation sowie Programme zur Förderung der kollektiven Gesundheit. Also für jeden etwas.

Eine ihrer Arzneien nennt sich Maharishi-Amrit-Kalash (Ambrosia des Lebens), das sich gut verkauft. Offensichtlich erfüllt all dies „das dringende Bedürfnis unserer Zeit“! Man fragt sich, ob bei ihren in der Heimat von Ayurveda - unter Schirmherrschaft von drei Maharishi -Erleuchteten - alljährlich abgehaltenen Mammutkongregationen DM oder TM die Schlüsselrolle spielt. Welch ein Frust macht sich unter den Einheimischen breit! Ungeachtet dessen florieren die Joint-venture -Geschäfte, wobei die Beteiligten sowohl in Indien als auch hierzulande ihre Schäfchen ins trockene bringen.

Ich möchte diese launige Skizze nicht mit einem Negativkatalog beenden. Und doch muß an dieser Stelle gefragt werden: Was geschieht mit den weitgereisten Aussteigern, die heute noch auf der Transitstrecke hängenbleiben? Manche Heimgekehrte können sich neuerdings aus den Fesseln des Evakuierungswahns befreien. Nicht selten nimmt für sie die klassische indische Musik die Stelle einer Ersatzreligion ein. C.G. Jung selbst war vom musikalisch umrahmten Kathakali-Tanz begeistert, der für ihn „eine neue Wirklichkeit darstellte. Hieraus könnte wohl eine Lehre gezogen werden. Es ist die ästhetische Erfahrung des Europäers mit dem Östlichen, die seine eigene Wirklichkeit nicht zunichte macht, sondern sie bereichert. Diese Ästhetik läßt sich zweifelsohne auch im Westen erleben, indem man zum Beispiel entspannt einen Waldspaziergang macht, mit Kindern und alten Menschen ein wenig einfühlsam umgeht oder mit Freunden spannende Gespräche führt. Das sind auch religiöse Erlebnisse. Um etwas Derartiges zu empfinden, muß man nicht unbedingt den Pseudoschamanen auf den Leim gehen.