Artige Journalisten und Interviews im Cafehaus

■ ARD nahm die Veränderungen im Ostblock unter die Lupe - Do., 15.2., 20.15 Uhr und 23 Uhr

Zurück nach Europa - die von Vaclav Havel in Umlauf gesetzte Parole war der Titel eines Sonderprogramms, mit dem die ARD eine fast dreistündige Reise in jene Länder unternahm, die sich selbst als mitteleuropäisch bezeichnen: Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen, dazu Rumänien, schließlich die DDR. Einer Reihe von Reportagen folgte ein Hearing mit anschließender Diskussion. Ohne der faszinierenden Thematik

-der Suche dieser Völker nach sich selbst und gleichzeitig nach einem gemeinsamen Ideal der Modernität - gerecht werden zu können, spiegelten die Berichte und Essays doch etwas von diesem komplizierten Prozeß des „Auftauchens“ wider. Wäre da nicht Herr Pleitgen gewesen, der Moderator, unrühmlich in Erinnerung wegen seiner Leichenfledderei an Egon Krenz. Seine Zwischentexte, ein Konzentrat von Banalitäten über den Zusammenbruch des Realsozialismus in den ehemaligen Volksdemokratien, dienten nur dazu, uns in unserer Selbstzufriedenheit über die hiesigen Zustände zu bestärken.

Den tatsächlich schier unlösbaren ökologischen und wirtschaftlichen Problemen Polens und der CSSR näherten sich im klassischen Stil der Sozialreportage die Berichte Pfeifers und Engelbrechts. Die Bilder von den abgestorbenen Wäldern Nordböhmens, die Dreckschwaden in der Luft des Braunkohlenreviers, die verzweifelten Mütter - entweder ich opfere meinen Job und meine Heimat oder mein Kind - das war ein Menetekel für uns alle. Wie hier kamen auch in der Reportage über Polen die Leute zu Wort, man hörte etwas von der Schönheit der slawischen Sprachen, konnte sich sogar an Neologismen belustigen wie den Kuronkis, den nach dem Arbeitsminister Jacek Kuron benannten Essensmarken in den polnischen Armenküchen. Übergehen wir den geschwätzigen DDR -Beitrag Merseburgers'in dem intelligente und integre Leute wie Schorlemmer verhackstückt und die tausendmal gesehenen Dokumentarmaterialien wiederholt wurden. Im Gegensatz zu diesem Routinestück schilderte die Rumänien-Reportage eindringlich, wie ein entfesselter Nationalismus die Errungenschaften der demokratischen Revolution zu verschlingen droht. Die Klage der Romas vor ihrem von Nationalisten in Brand gesteckten Haus, der Haß der interviewten Rumänen auf das Fremde, das Beschwören der Blutsbande - alles schon gehabt!

Rosenbauers Beitrag sollte von Mitteleuropa als Kulturbegriff handeln. Tatsächlich ließ der Gute kein Klischee aus dem dahingegangenen K.u.k.-Paradies aus. Natürlich wurde in Kaffeehäusern interviewt, natürlich wurden die Städteansichten mit Strauß und Mahler garniert. Warum der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Prags dafür prädestiniert war, etwas zur Einzigartigkeit der jüdisch -deutsch-tschechischen literarischen Symbiose der Zwischenkriegszeit beizutragen, ist mir auch nicht ganz klar geworden. Das anschließende Hearing, in der artige Journalisten Experten befragten, litt unter der Abwesenheit zwar nicht eines sowjetischen Gesprächsteilnehmers, wohl aber des sein Land betreffenden Problems: des Verhältnisses der Sowjetunion zu einem künftigen, geeinten Europa. Darüber wollte oder konnte sich niemand präzise äußern.

In der Diskussion konnte man wieder den Ungarn Hajdu bewundern mit seinem perfekten Deutsch, seinem makellosen Zweireiher und seinem bodenlosen Zynismus, der Enzensberger schon in seinem Ach Europa inspiriert hatte. Sein Widerpart war der alte polnische Gelehrte A. Hajnics, dessen Bemerkungen über die entstehenden bürgerlichen Gesellschaften in Ostmitteleuropa und dessen europäischer Idealismus gut die antinationalistische Strömung im zeitgenössischen Polen repräsentieren.

Was in der Diskussion an klugen Problemstellungen erarbeitet worden war, wurde von Professor Ehmke gnadenlos auf den verharmlosenden Formelkompromiß der Sozialdemokratie runtergeschraubt. Ehmke wußte auch genau, was die Leute in der DDR fühlen und denken. Vielleicht war das einer der Gründe, warum man es nicht für nötig gehalten hat, jemanden von dort zur Diskussion einzuladen.

Christian Semler