: Das Böse in Papa entdecken
■ Am Samstag um 22.05 Uhr kriecht Euch im Ersten die „Bestie in Schwarz“ unter die Haut
Vor ein paar Jahren las ich einen spannenden Krimi von Jonathan Kellermann. Der Roman hieß Blackout, und als ich ein paar Tage später in einer Videothek eine Kassette mit dem gleichen Titel entdeckte, dachte ich natürlich, das wäre der Film zum Buch und nahm ihn mit. Erst als ich es mir zu Hause vor der Glotze bequem gemacht hatte und der Film lief, merkte ich, daß ich es hier mit einer ganz anderen Geschichte zu tun hatte. Zuerst war ich natürlich sauer, aber nur kurz, denn was ich da zu sehen bekam war ein Psychothriller der allerfeinsten Sorte: Der erfolgreiche Makler Edward Vinson hat seiner Frau und seinen Kindern mit einem Baseballschläger die Schädel zertrümmert. Anschließend hat er den Leichen Papierhütchen auf die Köpfe gesetzt und sie vor dem laufenden Fernseher zu einem Grand-Guignol -Tableau aufgebaut. Der Film beginnt, als das grauenvolle Verbrechen drei Tage später entdeckt wird. Polizeichef Joe Steiner (hervorragend gespielt von Richard Widmark) ist entsetzt über das brutale Vorgehen des Täters und will ihn unbedingt fassen, denn „er hat einen riesen Fehler gemacht, diese Schweinerei ausgerechnet in meinem Revier anzurichten“. Aber Ed Vinson bleibt unauffindbar.
Dann ein abrupter Schnitt, und eine neue Geschichte beginnt. Wir erleben einen häßlichen Autounfall. Der einzige Überlebende wird mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert und mühsam zurechtgeflickt. Er leidet unter Amnesie und die plastische Chirugie hat alle Hände voll zu tun, ihm wieder ein menschliches Aussehen zu verpassen. Die Polizei identifiziert ihn schließlich, nicht ganz eindeutig, als Allen Devlin (ebenso hervorragend Keith Carradine). Als er entlassen wird, heiratet er kurz darauf die Krankenschwester, die ihn gepflegt hatte, nimmt einen Job an und wird ein rührender Familienvater.
Sechs Jahre später erhält Chief Steiner, den man inzwischen pensioniert hat („Ich bin rausgedrängt worden wegen eines jungen, dynamischen Computertypen“), der aber die Suche nach dem Killer niemals aufgegeben hat, einen anonymen Hinweis auf Allen Devlin. Der zähe Bulle macht sich sofort auf den Weg und konfrontiert Devlin mit der Gruselgeschichte. Der ist augenscheinlich entsetzt und bietet seine Hilfe an. Aber es finden sich keine Beweise, daß Devlin der Mörder ist. Steiner ist sich jedoch sicher, den richtigen Mann erwischt zu haben, er hält ihn für „eine Zeitbombe“. Das idyllische Familienleben der Devlins geht allmählich zum Teufel. Devlins Frau wird von Zweifeln zerfressen. Sie fragt sich immer häufiger, ob ihr liebender Mann nicht das Monster ist, für das er von Steiner gehalten wird, und sie hat panische Angst um ihre Kinder.
Der Film wurde 1985 vom hierzulande völlig unbekannten Douglas Hickox für das US-Kabelfernsehen gedreht. Amerikanische Fernsehfilme sind recht einfach zu identifizieren. Sie erzählen die Geschichte immer in kleinen Episoden, um dazwischen Platz für die Werbeeinblendungen zu schaffen. Bei Blackout ist das nicht anders. Aber was bei anderen Produktionen oft störend wirkt, ist bei diesem Reißer effektvoll als Stilmittel eingesetzt worden. Hatte der Zuschauer gerade noch seine ganze Sympathie dem Ex -Polizisten geschenkt und war fest davon überzeugt, daß der smarte Keith Carradine in Wirklichkeit die mordende Bestie ist, so wird er in den nächsten fünf Minuten schwören, daß Richard Widmark eindeutig auf dem Holzweg ist. So geht das weiter, bis kurz vor Schluß. Dieses hin- und hergerissen sein ist es denn auch, was den gut inszenierten Thriller so spannend macht. Und Drehbuchschreiber (David Ambrose) und Regisseur legen für den Zuschauer immer wieder Fallen und Irrwege an, um ihn noch mehr zu verwirren. Außerdem enthält der Streifen starke Horrorfilm-Elemente und Kameramann Tak Fujimoto macht einige dolle Sachen mit der subjektiven Kamera.
Wenn also Euer Nervenkostüm mitmacht oder wenn Ihr der Meinung seid, daß Euer Vater Euch in letzter Zeit immer so seltsam anschaut, unbedingt einschalten und das Böse in Papa entdecken.
Karl Wegmann
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