Wenn der Osten die D-Mark weich macht

Der Zusammenbruch der DDR trägt die Weltmarkt-Krise in den Westen / Eine Auseinandersetzung mit dem Szenario von Kurt Hübner  ■  Von Robert Kurz

„Wenn die D-Mark den Osten überrollt“ - diese Überschrift trug ein Szenario von Kurt Hübner, das in der taz vom 7.2. erschien. Der Autor des nachfolgenden (gekürzten) Beitrags, der sich mit den Hübner-Thesen auseinandersetzt, sieht sehr viel weitergehende Konsequenzen. Kurz ist Mitherausgeber der kleinen Theorie-Zeitschrift 'Krisis‘ und wird Beiträge über die Zukunft der Ost-Wirtschaft auch in den März-Ausgaben von 'konkret‘ und 'links‘ veröffentlichen.

Im Westen wird der Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften des ehemaligen „Realsozialismus“ gegenwärtig noch in der Zuschauerrolle gesehen. Die Verheißung „kapitalistischer Normalität“ gewinnt aber nicht dadurch an Realitätsgehalt, daß monetaristische Investmentbanker wie linke Ökonomen die Ost-Wirtschaft als Preis dieser imaginierten „Normalitäts„ -Zukunft „vorerst“ ein sozialökonomisches Tal der Tränen durchqueren lassen. Der Brechstangen-Thatcherismus wird im Osten noch weniger greifen als in Großbritannien. Das Leitmotiv des Szenarios von Hübner über die Zukunft der DDR -Wirtschaft muß umgekehrt lauten: Der Zusammenbruchsprozeß des Ostens ist ebenso wie die Verelendung der 3. Welt Bestandteil einer umfassenden Weltmarkt-Krise und wird diese in den Westen tragen - zuallererst in die wunderbare BRD.

Das Bild zukünftiger kapitalistischer Normalität trügt aus mehreren Gründen. Es ist paradoxerweise gerade die ökonomische Basis-Identität östlicher und westlicher „Volkswirtschaften“, die sie in einen einzigen Krisenzusammenhang verwickelt. Die Basis-Logik der „Moderne“, ausgedrückt im Selbstzweck des Geldes, war im „Realsozialismus“ nie gebrochen, sondern bloß kristallisiert durch die Ersetzung der Konkurrenz vermittels staatlicher Kommandos.

Die Länder des Ostblocks haben nie die Lohnarbeit überwunden, sondern vielmehr durch äußerliche Abschottung auf niedrigem Produktivitätsniveau eine künstliche „Vollbeschäftigung“ von Lohnarbeit simuliert, die jetzt vom hereinbrechenden Weltmarkt überrollt und aufgehoben wird. Nicht eine neue „ursprüngliche Akkumulation“ mit nachfolgender „Normalität“ steht bevor, sondern die Verslummung und Deindustrialisierung des Ostens nach derjenigen des Südens.

Die Krise des Ostblocks wird noch weit härter als die Krise der 3. Welt auf die westlichen Ökonomien selbst zurückschlagen und könnte zum Initialzünder für die Entfesselung von deren eigener immanenter Krisenpotenz werden. Der katastrophische Verschmelzungsprozeß von DDR und BRD-Ökonomie dürfte dabei eine exemplarische Rolle spielen. Es genügt keineswegs, auf kommende „harte Verteilungskämpfe“ (Hübner) mit schweren sozialen und politischen Belastungsproben hinzuweisen, die aber innerhalb einer niemals in Frage gestellten „kapitalistischen Normalität“ verbleiben könnten. Vielmehr wird das ökonomische Reproduktionssystem des Kapitals in seinem innersten Kern erschüttert. Wurden die künstliche Vollbeschäftigung und die Sozialsysteme des Ostblocks ebenso wie die Lebensmittelsubventionen der 3. Welt aus Kreditmitteln und von der Notenpresse gespeist, so verhält es sich mit der westlichen Exportkonjunktur und dem daraus resultierenden relativen Beschäftigungs-Aufschwung der 80er Jahre nicht wesentlich anders, auch wenn das krisenträchtige Abheben des „Kreditüberbaus“ hier über die internationalen Finanzmärkte vermittelt ist statt durch plumpe staatliche Gelddruckerei.

Wenn die fehlende „produktive Kaufkraft“ auf Weltmarkt -Niveau in der DDR nicht mehr vom bankrotten Staatsapparat simuliert werden kann, so wird sie sich erst recht nicht durch „Einführung der Marktwirtschaft“ einstellen. Ob in Polen oder der DDR: Selbst eine Notstands-Ökonomie ließe sich nur noch „durch umfangreiche finanzielle Unterstützung von außen“ (Hübner) durchschleppen. Also durch ein Anzapfen des westlichen Kreditüberbaus in gewaltigen Dimensionen.

Diese Gelder aber sind real nicht verfügbar, weder öffentlich noch privat, weil sie schon die westliche Defizit -Konjunktur finanzieren. Ihr gewaltsames Verfügbarmachen aus der Eigendynamik des politischen Prozesses heraus aber müßte den westlichen Kreditüberbau zum Einsturz bringen. Eine Währungsunion unter DM-Ägide würde nämlich bedeuten, daß die monetäre Sterbehilfe, die Polen nur tropfenweise bis zum baldigen Exitus gewährt wird, in die DDR quasi vollautomatisch fluten müßte. Es ist ein Witz, diesen Vorgang als „finanzielle Abhängigkeit der DDR“ (Hübner) und „Souveränitätsverlust“ zu definieren. Umgekehrt: Die Preisgabe einer ohnehin nur noch fiktionalen DDR -Währungseinheit führt zwangsläufig dazu, daß die BRD die Kontrolle über ihr eigenes Geld verliert. Die von der Weltmarkt-Konkurrenz faktisch für „ungültig“ erklärte Gesamtgeldmenge der Ostmark müßte auf einen Schlag durch D -Mark ersetzt werden, also durch Ansprüche auf BRD -Notenbankgeld. Die „harte“ DM würde sich rapide in eine „Weichwährung“ verwandeln, das heißt in demselben Maße inflationiert werden, wie sich die gewaltige zusätzliche DM -Geldmenge bei gleichbleibenden „konkurrenzfähigen“ Produktionskapazitäten in Konsumnachfrage umsetzt. Dies kann aber gar nicht ausbleiben, weil die 17 Millionen Brüder und Schwestern ja leben müssen, die zusätzlichen, vom Standpunkt des Weltmarkts aus „unproduktiven“ Geldmengen also nicht wie im Westen vorerst im Kredit- und Spekulations-Überbau zu stauen sind.

Der gigantisch ansteigenden DM-Geldmenge wird aber auf Jahre und vielleicht Jahrzehnte hinaus keine „produktive Kaufkraft“ auf „Weltniveau“ entsprechen, weil die Investitionen für eine Konkurrenzfähigkeit der DDR -Wirtschaft gar nicht so schnell greifen könnten und außerdem selber erst einmal riesige Gelder mit höchst ungewissem Erfolg verschlingen würden. Eine schroffe Begrenzung der zusätzlichen DM-Geldmenge aber hieße, die DDR in ein Armuts-Protektorat zu verwandeln. Der dann zu erwartende Millionen-Flüchtlingsstrom aber würde das Problem nur auf dem BRD-Territorium reproduzieren.

Ob mit oder ohne Wiedervereinigung, ob als Konföderation oder unter den Fittichen der EG (wie Hübner vorschlägt), das Resultat bleibt immer dasselbe: der Westen und hier exemplarisch die BRD muß die undankbare Rolle der staatlichen „sozialistischen Mißwirtschaft“ in Form bodenloser monetärer Subventionen übernehmen. Der aus dem Boden gestampfte Nachtragshaushalt von sieben Milliarden DM war nur ein winziger Vorgeschmack und ein Tropfen auf den heißen Stein. Will die BRD aber auf diese Weise nicht rasch in eine Hyperinflation durch das Heißlaufen der Notenpresse nach östlichem und südlichem Muster hineinschlittern, wird nichts übrigbleiben als eine gewaltig gesteigerte staatliche Kreditaufnahme auf den Finanzmärkten. Dies wiederum hätte unvermeidlich zwei Konsequenzen. Zum einen müßte das ohnehin durch den bis zum Zerreißen gespannten internationalen Kreditüberbau bereits abnorm hohe Zinsniveau gnadenlos weiter nach oben getrieben werden. Eine weitere Zinsexplosion aber könnte den „overkill“ für die prekäre Defizit-Konjunktur besorgen, binnenökonomisch wie international.

Denn zum anderen würde der bisherige Kapitalexporteur BRD damit in Konkurrenz zu den gegenwärtig von ihm noch „gesponsorten“ Defizit-Ländern treten und selbst Geldkapital in großem Maßstab ansaugen bzw. die inländischen Sparguthaben und die Gewinne aus den Exportüberschüssen für das „bucklig Männlein“ DDR im Nacken verpulvern müssen, statt damit das internationale Defizit-Karussell des Westens am Laufen zu halten. Der daraus resultierende neue und erweiterte Zinswettlauf aber würde in einem schwer aufzuhaltenden Eskalationsprozeß nicht nur der 3. Welt endgültig den Garaus machen, sondern auch durch das sukzessive Abwürgen des Konjunkturmotors die einseitigen Exportströme zum Stillstand bringen, der Reihe nach den Kollaps der westlichen Großschuldner (USA, Großbritannien, Griechenland, Spanien, Italien usw.) einleiten und die Weltwirtschaft in eine tiefe Depression stürzen. Der in Deutschland verdichtete unlösbare Widerspruch widerspiegelt nur die Gesamtsituation des warenproduzierenden Weltsystems.

Damit aber schließt sich der Kreis, und der krisenhafte innere Zusammenhang des einen Weltmarkts wird sichtbar. Das Hinausschieben dieser Schranke durch die kreditäre Simulation von Kaufkraft könnte mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ein Ende gefunden haben, auch für den Westen und seine wunderbare BRD.