Einwände gegen die „riunificazione“

Italiener setzen auf Kohls Ungeschicklichkeit als Bündnispartner gegen eine schnelle Vereinigung / Bisherige Modelle werden zerpflückt / Die Achse Rom-Paris-London festigt sich  ■  Aus Rom Werner Raith

So bereitwillig wie derzeit überlassen die italienischen Medien und Politiker nur selten die Schlagzeilen den anderen: den welschen Erzrivalen etwa oder den Angelsachsen, die wegen der humorlosen Margaret Thatcher und des Regenwetters sowieso niemand versteht; selbst sonst niemals gehörte Belgier, Holländer und Dänen dürfen sagen, was sie von der Sache halten - sofern sie Einwände gegen die „riunificazione tedesca“ vorzubringen haben: Das Thema „Wiedervereinigung“, so scheint es, ist eine Angelegenheit aller anderen, nur nicht Italiens.

Außenminister Gianni De Michelis bescheidet seit der Konferenz von Ottawa alle, die ihn fragen, daß „wir ja ausdrücklich von der Mitwirkung an den Entscheidungen über Deutschland ausgeschlossen wurden“ - aber das klingt eher wie ein listiges „Legt euch nur mit denen an“.

Ministerpräsident Giulio Andreotti, seit seinem Satz von der „Gefahr eines Pangermanismus“ (1985) bevorzugtes Angriffsziel der Vereinigungsfans unter Anführung von 'Spiegel'-Augstein, murmelt allenfalls ein „Soweit mir bekannt, wollen die Deutschen das im europäischen Rahmen machen“. Unter der Hand streuen seine Mitarbeiter, daß der Chef äußerst gut aufgelegt sei - die Blockade der Sache sei in besten Händen. Vergangenen Dienstag hat sich Andreotti bei der Begegnung mit Mitterrand dessen unbeugsames „Non“ versichern lassen, den Zeitungen fließen aus dem Regierungspalazzo wahre Ströme von Informationen über französische und englische Urängste zu; Finanzminister Guido Carli rechnet ein ums andere Mal vor, „wieviel die Wiedervereinigung die Deutschen kosten wird - und uns ebenfalls“.

Der „Schattenaußenminister“ der Kommunistischen Partei, Giorgio Napolitano, klopft fest, daß „nach Ottawa klar sein muß - und zwar auch den Deutschen -, daß die Wiedervereinigung zwar sicher eine Frage des Selbstbestimmungsrechts ist - aber eben nicht nur: Sie betrifft ganz Europa, und das Wort haben da vor allem die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs“.

Für den besten aller Verbündeten gegen eine schnelle Entscheidung halten die meisten Medien allerdings Kanzler Kohl - wegen seiner „geradezu einmaligen Fähigkeit, ringsherum alle zu verprellen - nicht auszudenken, wie glatt alles ginge, wäre ein verläßlicher Sozi an seiner Stelle“, sagt ein Kollege vom staatlichen Rundfunk RAI, als er die Attacken Delors‘ auf Kohl vor dem Europaparlament bearbeitet.

Genüßlich referierte 'La Repubblica‘ schon vor Ottawa das Sündenregister des BRD-Kanzlers, von den mangelnden Konsultationen („Gerade er, der selbst so darauf besteht“) über das „Hintergehen von Freunden wie Mitterrand“ bis zu seinen Wechselbädern gegenüber den Ostdeutschen.

Um so freundlicher die Presse gegenüber Modrow - sein „Ich bin enttäuscht“ hat drei Tage lang Eingang in die Schlagzeilen gefunden -, der sympathische kleine Bruder steht, optisch wie intellektuell, gegen den tolpatschigen Koloß. Genüßlich zerpflückt die RAI die bisherigen Vereinigungsmodelle: „Politisch drin, militärisch draußen aus der Nato? Das kann sich eine Atommacht wie Frankreich leisten, aber die Deutschen... Oder wollen sie nun auch H -Bomben?“ Summa summarum: Trotz all der Sprüche nichts Realisierbares.

Und so nehmen die Medien mittlerweile einen Vorwurf gegen Kohl wieder zurück - den mangelnder Konsultationen: „Worüber sollte er denn die Alliierten konsultieren?“ fragte die RAI. „Das Problem liegt wohl darin, daß er, trotz dauernder Reden darüber, überhaupt kein Konzept hat.“

Genau in diesem Sinn will Ministerpräsident Andreotti bei seinem Treffen mit Kohl denn auch vorgehen - sich anhören, was der Norden zu sagen hat, ein schönes Prinzipien -Statement zur „kontrollierten Wiedervereinigung“ abgeben (worunter die Italiener eine Verschiebung auf St. Nimmerlein, Kohl eine Unterstützung verstehen wird), um danach das Ganze wieder durch seine Medien zerpflücken zu lassen.