: Streit im „Börsen-Prozess“
■ Erster Verhandlungstag unter strengen Sicherheitsvorkehrungen / Angeklagte verlangten gemeinsame Vorbereitung der Verteidigung / Richter Adam drohte mit Saalräumung
Frankfurt (taz) - Kaum hatte gestern der „Börsen-Prozeß“ im Frankfurter Oberlandesgericht begonnen, da verlangten die VerteidigerInnen der vier Angeklagten die Aussetzung des Verfahrens. Sie bemängelten, die Prozeßakten zu spät und unvollständig bekommen zu haben. Den Angeklagten wird vorgeworfen, am 12. April 1989 Molotow-Cocktails in die Frankfurter Börse geworfen und nach Paragraph 129a „durch Übernahme und Befürwortung die politischen Ziele der RAF unterstützt“ zu haben.
Rechtsanwalt Heiming monierte, daß es nicht möglich gewesen sei, seinem Mandanten, Stefan F., wenigstens Papiere zuzuschicken, aus denen dieser etwas über Politik und Strategie der RAF hätte erfahren können. Eine ähnliche Behinderung der Verteidigung stellte Rechtsanwältin Ursula Seifert fest. Ihr war es nicht gelungen, ihrer Mandantin, Sigrid H., ein Buch über den Gegenstand des Verfahrens zuzusenden. Die Haftanstalt hatte die Auslieferung des Bandes So funktioniert die Börse verweigert. Das Gericht wies alle Anträge zurück.
Der Prozeß hatte am Morgen mit einstündiger Verspätung und unter hohen Sicherheitsvorkehrungen begonnen. Währendessen formierte sich vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung, deren Lärmen und Rufen durch die Fenster des unterkühlten Saales 146 drang. Auch sonst war die Atmosphäre frostig. Der Vorsitzende, Richter Dieter Adam, drohte bereits in den ersten Minuten des Verfahrens eine harte Gangart an. Zwischenrufe aus dem hinter der Trennscheibe dicht besetzten Zuschauerraum quittierte er mit der Drohung, den Saal räumen zu lassen. „Das geht blitzschnell!“
Beim Eintritt in den Saal waren die vier Angeklagten nacheinander mit frenetischem Jubel begrüßt worden. Sie verlasen kurze Ergänzungen zu den Anträgen der Verteidigung, in denen sie sich mit den Gefangenen der spanischen GRAPO solidarisch erklärten. Sie verlangten außerdem die Möglichkeit zu einer gemeisamemn Verteidigung, da sie schließlich auch einer gemeinschaftlichen Tat angeklagt seien. Zu einer der beiden heftigen Kontroversen zwischen Gericht und Verteidigung kam es gestern wegen der Sitzordnung der vier Angeklagten. Das Gericht lenkte ein. Die vier durften nebeneinandersitzen - unter Vorbehalt: „Wenn nichts geschieht.“
Heide Platen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen