Perlen, aber keine Säue im Alumax

■ Bremer und Ostberliner WissenschaftlerInnen zu den „Sozialen Kosten gesamtdeutscher Mobilität“

Das erste Teach-in an der Uni Bremen zum „Nachdenken inmitten großer Veränderungen“ hatte 65 Menschen interessiert, das letzte, moderiert von Michaela von Freyhold, hatte ganze 25 ins aluminium maximum gelockt. Diese Fünfundzwanzig aber müssen mit erheblich präziserem Wissen über die „sozialen Kosten gesamtdeutscher Mobilität“ gegangen sein. Und mit Fragen.

Denn schon Annahmen zur Basisfrage, wieviel Go West denn noch bevorsteht, wurden je nach Standort, Ost oder West, unterschiedlich beantwortet. Der Ost-Berliner Soziologe Wolfgang Engler gab der Katastrophenlinie in der DDR Ausdruck. Man befinde sich in einem Prozeß, den ursprünglich so niemand gewollt habe. Die Staatsmacht sei praktisch zusammengebrochen. Nach einer nichtöffentlichen Befragung verlangten 9 von 10 DDR-BürgerInnen im März D-Mark, sonst gingen auch sie. Bei einer Verzögerung der Währungsunion sieht Engler ganze Wirtschaftszweige zusammenbrechen,

Demgegenüber gingen die Bremer SozialpolitikspezialistInnen mehr (Karl Schumann) oder weniger (Helmut Wiesenthal) von einer normalen, anhaltenden und verkraftbaren Wanderungsbewegung aus, thematisierten aber, besonders Ilona Ostner für die Frauen, mögliche Auswirkungen

in Richtung back to the fifties.

Die Wanderungsbewegung sei ähnlich normal wie die zwischen Süd-und Norditalien, meinte Karl Schumann (Forschungsschwerpunkt Statuspassagen). Sie folge den Gesetzen des freien Arbeitsmarktes und werde sich nach Fortfall der vertriebenengesetzlichen Hilfen nicht wesentlich ändern. Schumann wandte sich gegen die verschiedenen Dramatisierungen: Der ursprünglichen Dialektik, daß „nicht, wer blieb, sondern wer ging, Revolutinäres bewirkte“, habe sich jetzt die Bundesregierung bemächtigt. Deren Dramatisierung des Zeitdrucks unterlaufe sachliche Stufenplanlösungen.

Auch die Warnungen vor Übersiedler-induziertem Rechtsradikalismus und sozialem Sprengstoff (Lafontaine) sieht Schumann als politische Nutzung einer Fremdenfeindlichkeit, die bis 83 die AusländerInnen, bis 85 die AsylantInnen, 1987/88 die AussiedlerInnen und jetzt die DDR-Deutschen am Wickel hat. Schumann ist für ein 700-Mrd. -Programm für die DDR, das Demontagen und fehlenden Marshallplan in Rechnung stellt.

Für Helmut Wiesenthal vom Zentrum für Sozialpolitik besteht ein Hauptanreiz der BRD in ihrem unvergleichlich besseren Sozialsystem. Um die Leute nicht unnötig aus ihren örtlichen sozialen

Netzen in der DDR herauszulocken, schlägt er deshalb eine massive Subventionierung ihres Sozialen Sicherungssystems vor. Geschätzte Höhe: 50 bis 100 Mrd.

Überhaupt: Die Unkenntnis der Segnungen des BRD -Sozialleistungssystems wirke im Moment noch als „Wanderungsbremse“. Wenn ein so renommierter Mann wie Jürgen Kuczinsky noch verkünde, die DDR sei das erste und einzige Land, wo das Existenzminimum eines jeden gesichert sei, sei die Kenntnis des BSHG wohl nicht vorauszusetzen. Ehe also die RentnerInnenheere sich in Bewegung setzen, um das Gefälle der Durchschnittsrente West (1.073 DM) gegen 377 DDR -Mark massenhaft individuell auszugleichen, ehe die befürchteten 2.5 bis 3 Mill. Arbeitslosen aus konkurrenzunfähigen DDR-Betrieben kommen und diejenigen, die das DDR-Gesundheitssystem und die gegenüber der BRD zwei Jahre kürzere Lebenserwartung nicht mehr in Kauf nehmen wollen: Investitionen ins DDR-Sozialleistungssystem und ein integriertes Mindestsicherungsprogramm.

Zur Finanzierung kann Wiesenthal allerdings keinen ÖTV -Standpunkt anbieten, „nach dem alle Risiken unlauter sind, die andere als die Unternehmer tragen.“ Die Steuerentlastung, die

verschiedene Gutverdiener, auch im Alu-max, auf ihren Gehaltsstreifen gesehen hätten, würden dabei schon drauf gehen.

„Erreichen wir Frauen das Jahr 2000, oder müssen wir zurück in die 50er Jahre“, spitzte Ilona Ostner ihre Mutmaßungen darüber zu, was - sozialpolitisch - nach der Einheit auf die Frauen zukommt. Womit sie die Westdeutschen meint. Was passiert, wenn viele in der DDR 4fach belasteten Frauen im Westen „Verhältnisse vorfinden, wo sie das erste Mal einen sozial abgesicherten Frauen- und Mutterstatus vorfinden?“ Wird das die gerade mühsam überwundenen Idole der 50er Jahre rekreieren, den pater familias und sein Pendant, die donna immobile daheim, die damals von so außerordentlicher ökonomischer Effektivität waren. Wird ein sozialpolitisches roll-back to the fifties Optionen wie Quotierung und die Wahlfreiheit zwischen öffentlicher und Hausarbeit wieder kippen?

Fragen und Antworten, die wahrhaftig eines Publikums wert gewesen wären. Vielleicht sollte Michaela von Freyhold der Wanderungsbewegung Raus aus dem Uni-Ghetto folgen und die nächsten Perlen, die sie organisiert, nicht ins leere Alumax sondern irgendwo in der Nähe der Straße der Säue in die Stadt werfen.

Uta Stolle