FALSCHE KÖCHE - ECHTE ROTE

■ Der sowjetische Filmball im Haus der Sowjetischen Kultur und Wissenschaft

Legende Filmball: Autogrammjäger hinter Absperrungen, Stars im Defilee, Dekolletes im Blitzlicht, die Loren im Clinch mit der Lollo - pünktlich zur Berlinale wird sie jedes Jahr neu aufgewärmt mit Wochenschausplittern und Archivbildern. Schmachtende Erinnerung an das Kastensystem von einst: Auf dem roten Teppich die einen, die anderen auf dem Pflaster.

Für den Filmball 1990 werden den alten Klischees noch ein paar neue untergehoben: „Die neue politische Großwetterlage macht es möglich, daß nach über zwanzig Jahren eine alte Berliner Tradition ihre längst fällige Fortsetzung findet, und zwar im anderen Teil unserer Stadt.“ Seit Wochen kursiert der Pressetext, „persönliche Ehrenkarten“ liegen bereit beim „Festkomitee“. Der neue Filmball soll ein „sowjetischer“ werden, „Bal russe“, veranstaltet von der Westberliner Phantasiefiorma Special & Extra Showproduktion, der DDR-Agentur Comconcert und dem Haus der Sowjetischen Kultur und Wissenschaft in der Ostberliner Friedrichstraße. 1.800 Karten sollen in den Verkauf gegangen sein, 600 im Osten a 250 Mark-Ost, 1.200 im Westen, das Stück für 180 DM. Der Karte angehängt sind Verzehrbons von 5 DM aufwärts bis 50 DM, bei Verlust des Tickets wird Strafgeld angedroht, 850 DM.

Für die Dauer des Balls am Freitag abend wird am Checkpoint Charlie der Diplomaten-Übertritt freigemacht, und die Transfer-Busse vom Hotel Interconti können problemlos passieren. Ein roter Teppich liegt vor dem Mehrzweckbau der sowjetischen Gastgeber, daneben knisternde Filmrollen, Dekoration aus dem Müll. Kontrolliert wird streng, was die Grenzer versäumen, wird hier nachgeholt. Und dann beginnt der Fake.

Der Lenin am Eingang ist ganz weiß und aus Stein, direkt nebenan die Basilius-Kathedrale vom Roten Platz aus Eis, vier Wochen soll sie durchhalten bis zum endgültigen Abtau, aber schon um 23 Uhr werden die Scheinwerfer ausgeschaltet über ihr - Einsturzgefahr. Großes Gedränge gibt es an den Garderoben, irgendwann gehen die Büroklammern aus, die die Nummernkärtchen am Pelz halten sollen, Taschen und sonstige Begleitung werden sowieso nicht angenommen. Die PR-Sponsoren verteilen sich parterre und gratis: Die Königin des Tafelwassers in kleinen Schlucken, der Staatsmann-Wodka voll eingeschenkt, die Pfannkuchen einer Bäckerei sehen nur so aus, der herzhafte Biß ins vermeintlich Süße erschreckt beim Geschmack von Brot und Salz, die Damentäschchen von Estee Lauder mit Nagellack und Duftstoff sind schon um 21 Uhr dahin, einige versprengte Original-Rotarmisten paradieren stolz damit durch die Gänge. Ein paar Köche mit silbernen Platten hingegen sind nicht ganz echt, einige West-Berliner nutzten damit nur den Einlaßtrubel, um bargeldlos ans Buffet zu gelangen.

Ordentlich Platzangst auch hier, Messer und Gabel sind schnell vergriffen, Räucherfisch türmt sich abgenagt, Buletten gibt's - da könnten vier glatt eine sein, der Kaviar auf halben Eiern ist falsch. Die nach 22 Uhr kommen, gehen leer aus, nur noch Müllberge auf allen Tischen. Das „Show- und Unterhaltungsprogramm“ geht derweil unermüdlich auf der Bühne eines halbdunklen Kinosaals unter: Die DDR -Möchtegern-Lea Rosh Christine Dähn plappert zwischen einer falschen Marylin Monroe und einer echten Moskau-Modenschau, zwischen einer Michael Jackson-Doublette und einer tapferen Annett Kölpin, Helen Schneider brecht(lang)weil(l)t ein bißchen rum, Youngster Sidney Youngblood erscheint gleich gar nicht. Auf der Bühne des „Ballsaals“ - ein Podest im Foyer, davor Platz für tanzende Paare, vier oder fünf amerikanisieren die Szene-Lieblinge mit dem Namen, den keiner behält: „Das Orchester des Stabes der Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte.“ Wieder Glenn-Miller-Sound und dann noch Background für Schwergewicht Queen Jahna.

Die Fotografen stehen sich Stunde um Stunde am Eingang die Füße platt und lauern auf Gesichter, die jeder kennt. Umsonst! Gorbi heißt Winfried Salmen, ist Verwaltungsangestellter aus Büsingen in Baden-Württemberg, und sein Mittermal ist aufgemalt. Auch Liza Minelli wird eingeschleust von der „Doppelgänger-Agentur“, nur Atze Brauner muß noch selbst kommen. Dazu Rita Tushingham, Otto Sander, Rolf Eden. Der Rest der Berlinale zieht andernorts vor.

Der langersehnte Eklat zur Abwechslung im Grüne-Woche -Gedränge mit Abendkleid kommt erst nach 1 Uhr früh. Ein Stück der Mauer soll versteigert werden, mindestens 20.000 will man sehen für das Stück, daß keiner sieht. Als der Zoff um die korrekte Währung - M-Ost oder M-West - den Alkoholspiegel der Gelinkten übersteigt, schmeißt der Auktionator den Hammer. Endlich ist der Abend gekippt.

Doch die Westberliner Mitveranstalterin, Special & Extra-Kompagneuse Johanna Ebert, hat erfahrung mit Fakes und Flops und unsauberen Geschäften. 1982 setzte sie das Konzert „Rock für den Frieden“ in den Sand, Bands und Geschäftspartner blieben damals ohne Lohn. Später „Eloy„ und „Duran Duran„-Konzerte des Ebert-Projekts Future Music endeten mit Pleiten beteiligter Konzertagenturen. Auch die „Alternative 84“, großspurig als „Messe für alternative Lebensformen“ geplant, ging 1984 mit offenen Rechnungen und vergeblichen Pfändungen unter. Und die letzte große Ebert-Show, das „US Car-Meeting“ vom letzten Sommer, hat bis dato hauptsächlich unbezahlte Rechnungen hinterlassen. Der Kassensturz des „Bal russe“ bleibt also abzuwarten.

eka