Fotograf der Moderne

■ „Strand under the dark cloth“: John Walker über den Fotografen Paul Strand

Für Susan Sontag war er das „größte, vielseitigste und souveränste“ Talent in der Geschichte der amerikanischen Fotografie: Paul Strand. Er debütierte, als die Fotografie gerade erst begann, einen Kunstanspruch geltend zu machen, und versuchte, sich vom Stigma der bloßen mechanischen Reproduktion zu befreien. Strand arbeitete in jener Phase, in der das 20. Jahrhundert mit der malerisch-romantischen Tradition des 19. Jahrhunderts brach. Scharf zieht sich durch sein Werk die Zäsur des Übergangs zur Moderne; als erster amerikanischer Fotograf begriff er die Revolution des Kubismus und versuchte, die Erfahrung des Abstrakten für die Fotografie geltend zu machen.

Seine Arbeit bewegte sich fortan im Spannungsfeld zwischen dem Ungegenständlichen und dem Konkreten: er spürte dem Abstrakten in realistisch-urbanen Studien (z.B. „Wall Street“) nach und experimentierte mit extremen Nahaufnahmen von Natur und Maschinen: Gleichzeitig verraten seine Landschaftsstücke eine Liebe zum Stofflichen, zu Holz, Steinen, Erde, Wasser. Darüber hinaus war er ein mitunter melancholischer, mitunter schonungslos direkter, immer aber passionierter Portraitist.

Der kanadische Regisseur John Walker (er war einer der vielen Köche des 88er Berlinale-Beitrags „A Winter Tan„/„Ich atme mit dem Herzen“) leistet Strands Fotos auf akzeptabel konventionelle Weise seine Reverenz: er erforscht sie in vornehmlich vertikalen Schwenks, erfaßt das Entscheidende in Großaufnahmen und läßt die Kamera zurückweichen, um mit dem Betrachter die Gesamtheit des Bildes zu entdecken.

In den 30er Jahren durch die Depression und nicht zuletzt durch den spanischen Bürgerkrieg politisiert, schloß Strand sich den Dokumentarfilmer-Zirkeln Leo Hurwitz‘ und Pare Lorentz‘ an. Noch als Mittsiebziger machte sich Strand nach Ghana auf, um dort eine Fotoserie zu schießen, die thematisch und formal mit allem brach, was er zuvor geschaffen hatte.

Er hatte die Hebriden, Neumexico und die italienische Provinz ebenso studiert wie die Gesichter der französischen Intelligentsia.

Walker vertraut sich der Chronologie von Strands Werk an, um Rückschlüsse (z.B. aus dem elegischen Rebecca-Zyklus, einer Fotoserie über Strands erste Ehefrau) auf dessen Persönlichkeit und Privatexistenz zu ziehen. Behutsam akkumuliert er Interview-Fragmente, Selbstzeugnisse und andere Mosaiksteinchen zu dem Bild eines unzugänglichen Monomanen, der sich unter der tuchenen Abdeckung seiner Kamera (die dem Film seinen Titel gibt) wohler fühlte als in menschlicher Gesellschaft.

Immerhin: eine Anekdote. Strands zweite Ehefrau Virginia Stevens wollte sich von ihm scheiden lassen und bat ihn, doch einmal ihren Psychoanalytiker aufzusuchen. „Nun“, fragte sie anschließend, „worüber habt ihr geredet?“ „Über Fotografie.“

Gerhard Midding

John Walker: Strand-under the dark Cloth, mit Paul Strand, Fred Zinnemann u.a. Kanada 1989, 81 Minuten

19.2. Urania 16.30 Uhr